: Odol an die Freude
Nützlicher Kontrast beim Lächeln: Das Mundwasser mit der Knickhals- flasche wird 100. Gefeiert wird in Dresden. ■ Von Barbara Häusler
Die Erfolgsgeschichte dieses Mundwassers ist die Erfolgsgeschichte seines Behältnisses, und seine Produktgeschichte insgesamt ist mit der deutschen Wirtschafts- und Werbegeschichte eng verknüpft. Das lag vor allen Dingen am Ideenreichtum seines Erfinders Karl August Lingner, einer jener schillernden Persönlichkeiten der Wilhelminischen Ära, in der sich philanthropische Gesinnung, patriarchalisches Geltungsbedürfnis und modern anmutendes Marketinggenie umstandslos miteinander verbanden. Eine Unternehmerpersönlichkeit, die Ministerpräsident Biedenkopf heute optimistisch als „sächsische Synthese“ empfiehlt.
Lingner begann seine Unternehmerlaufbahn zunächst mit der Herstellung sinnvoller Haushaltsgegenstände, eines Frottierapparates, zum Beispiel, oder eines biegsamen, nichttropfenden Tintenlineals. 1892 gründet der gelernte Drogist das „Dresdener Chemische Laboratorium“ und entwickelte zusammen mit einem Freund, dem Chemiker Professor Pfeiffer, ein antiseptisches Mundwasser. Wer da was entwickelt hat, läßt sich heute natürlich so genau nicht mehr auseinanderhalten, und auch die Herkunft der berühmten Flasche mit dem Seitenhals wird eher mythologisch denn zweifelsfrei Lingners offensichtlicher Rundumbegabung zugeschrieben. Nachdem er sich die Urheberschaft gesichert und seinem neuen Produkt vorausschauend einen in allen Sprachen gleichklingenden Namen gegeben hatte, konnte es losgehen.
Vielleicht hat man beim Betreten der Dresdner Ausstellung zunächst den Eindruck, in einem Werbemuseum gelandet zu sein — umzingelt von hundertmal der gleichen Flasche, mit hundertmal dem gleichen Schriftzug. Doch die unzähligen Reklameplakate, -tafeln und -objekte, die Schriftstücke, Filme und Fotografien dienen nicht nostalgischer Verklärung oder vordergründiger Werbung. Sie belegen durchaus überzeugend, wie geschickt Lingner einen Markt für ein Produkt kreierte, von dessen Bedarf bis dahin kein Mensch etwas geahnt hatte; wie er durch sein gesundheitspolitisches Engagement und Hygienekampagnen dessen Absatzchancen steigerte (1911 organisiert er die Internationale Hygiene Ausstellung in Dresden, und 1912 erscheint seine „Denkschrift zur Errichtung eines National-Hygiene- Museums“); wie er neue Werbestrategien entwickelte, die noch heute als bahnbrechend gelten; wie er eine Ware zum Markenartikel aufbaute, um sie aus der beginnenden industriellen Massenproduktion herauszuheben. Und nicht zuletzt, wie sich ein Produkt durch stetige Anpassung an sich verändernde gesellschaftliche Anforderungen hundert Jahre lang halten konnte.
Lingner beschäftigte in seinem Werbebüro Künstler und verwendete in seiner Reklame Versatzstücke aus Kunstwerken. Neben der Propagierung des Mundwassers als „nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nachweislich“ besonders zu empfehlender Hygieneartikel für den eher pragmatischen Benutzer entstand so ein Image, welches das Produkt jenseits seiner eigentlichen Verwendung auch für den maulfaulen Bildungsbürger quasi transzendierte. Zwischen 1901 und 1908 erschienen im Simplicissimus, in der kunstreformerischen Zeitschrift Die Jugend, den Fliegenden Blättern und in der Gartenlaube zahlreiche, zum Teil ganzseitige Anzeigen (auch das ein Novum), die sich an antiken Vorbildern orientierten und Flasche oder Schriftzug, in Stein gemeißelt oder als ozeanische Schaumkronengeburt, ins Monumentale steigerten. Neben Arnold Böcklin und Giacomo Puccini, der eigens eine „Ode“ an Odol komponierte, verdiente auch Franz von Stuck das Geld fürs eigentliche Schaffen bei seinem Freund Lingner. Sein „Scherzender Centaur“, den Kunstsammler Lingner erwarb und später neben zahlreichen weiteren Gemälden der Dresdner Gemäldegalerie überließ, bewirbt das Mundwasser mit der gleichen gelassenen Überzeugung wie die Jungfrauen, Schwäne und mondbeschienenen Birkenhaine der nachfolgenden Jugendstilära.
Der Bekanntheitsgrad, die Selbstverständlichkeit und Präsenz der Reklame im Alltag verschafften Odol auch den Einzug in die zeitgenössische Kunst. Als Zitat auf Häuserwänden und Litfaßsäulen oder als selbständig gestalteter Gegenstand ist Odol in Radierungen, Zeichnungen, Collagen, Fotografien und Gemälden von Eugen Kirchner (1896!), Herbert Bayer, Karl Schmidt-Rottluff, Stuart Davis und Jirí Georg Dokoupil zu sehen. 1924 entwarf Willi Baumeister ein Werbeplakat, das noch einmal auf den nützlichen Kontrast im Lächeln eines Schwarzen setzt.
Er knüpfte damit an eine beliebte Reklamestrategie der Jahrhundertwende an, die mittels kolonialer Bildmotive die globusumspannende Bedeutung von Produkten signalisierte. Odol gab es jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht nur in den deutsch-afrikanischen Kolonien, Lingner hatte seine Produktion längst auf Österreich ausgedehnt und exportierte weltweit in 60 Länder; seit 1923, acht Jahre nach dem Tod des Patriarchen, wird Odol auch in den USA gemixt. Kein Wunder also, wenn man die Flasche in Schützengräben des Ersten Weltkriegs neben verrosteten Henkelmännern und Spaten oder als Strandgut an den Gestaden der Fidschiinseln fand.
Mit der Entstehung und Ausbreitung der städtischen White- collar-Berufe insbesondere auch auf Frauen, dem Zusammenrücken in Büros und Kaufhäusern geriet der kosmetische Aspekt des Mundwassers in den Mittelpunkt. Der Mundgeruch, bislang als Veranlagung stumm erlitten und mit seinen traurigen Folgen ergeben als Schicksalsschlag gedeutet, wird zur öffentlichen Angelegenheit. Gepflegte Frische ist das neue Werbe-Motto, und endlich wird Millionen von Mauerblümchen und abgewiesenen Kavalieren die Ursache ihres Unglücks erklärt. Falls es nicht doch die Schuppen waren. Bis im Dritten Reich das Propagandaministerium seinen Daumen auf die Werbung hielt und ihre Aussagen, Grafik und Typografie bis zur Biederkeit nivellierte, strahlten weibliche Lippen mit ihrem unwiderstehlichen und verführerischen Odol-Lächeln.
Und heute? Die Beiträge des Kunstwettbewerbs, der zum Jubiläum ausgeschrieben worden war, sollen nicht für aktuelle Werbekampagnen eingesetzt werden. Dabei hat ein Teilnehmer, Andreas Karl, die Sache auf den Punkt gebracht. Er ließ 100 Personen die Odol-Flasche aus dem Gedächtnis zeichnen. Titel: „Da ist doch so'n Knick drin, oder?“ Ein zeitgemäßer Slogan, an dem es eigentlich schon länger mangelt. Odol gibt sympathischen Atem, na gut, aber Strahler-Küsse schmecken besser.
Odols corporate identity ist auch jetzt noch stark genug, um rund 25 Millionen Flaschen jährlich unter die Leute zu bringen. Allerdings ist die raffinierte Semantik nicht über das Produkt hinausgewachsen, wie es für Tempo und Tesa gilt, deren Markenname für die Produktgattung steht. Odol bleibt irgendwie Odol, das Ding mit dem Knick. Wer die Flasche sieht, weiß, was drin ist.
Die Ausstellung „In aller Munde. 100 Jahre Odol“ ist noch bis zum 29. August, Di. bis So. 9–17 Uhr, im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1, zu sehen. Der ausgezeichnete Katalog ist in der Edition Cantz erschienen und kostet 31 Mark.
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