Die Frau als Körper-Plantage

Fötales Gewebe aus Abtreibungen gilt als universelles Ersatzteil für Transplantationen / Die Leibesfrucht wird zum nachwachsenden Rohstoff einer neuen Bio-Industrie / Der Handel mit Föten ist heute schon Realität  ■ Von Ingrid Schneider

Der russisch-amerikanische Handel macht Fortschritte – nicht erst seit dem letzten G7-Gipfel. Nun verhilft ein ganz besonderes Exportgut Rußland zur Devisenbeschaffung: Gewebe von Föten wird zu Transplantationszwecken in die USA importiert. Bereits im März dieses Jahres schloß die Samsum Medical Research Foundation aus dem kalifornischen Santa Barbara einen entsprechenden Liefervertrag mit dem Moskauer Internationalen Institut für Biologische Medizin ab.

Fötale Zellen der Bauchspeicheldrüsen sollen DiabetikerInnen verpflanzt werden und in ihrem Körper die Insulinproduktion aufnehmen, um die PatientInnen von regelmäßigen Insulinspritzen unabhängiger zu machen. 600 Zuckerkranken weltweit, ein Drittel davon in Rußland, wurde bereits Gewebe von Föten aus der 12. bis 20. Schwangerschaftswoche transplantiert. Die Wirkung bleibt jedoch umstritten. Selbst wenn die fötalen Zellen anwuchsen, konnte bei keinem der PatientInnen ganz auf weitere Insulininjektionen verzichtet werden.

Ein Team von drei Moskauer ChirurgInnen reiste im Mai für eine Woche nach Kalifornien, um sich mit ihren US-KollegInnen über Verpflanzungsmethoden auszutauschen. Im Gepäck führten sie tiefgefrorenes Fötalgewebe für 40 Transplantationen an DiabetikerInnen mit. Falls die ersten klinischen Versuche dort erfolgreich verlaufen, sollen die Experimente mit dem russischen Fötalgewebe auf „hunderte von Patienten jährlich“ ausgeweitet werden. Die Kosten für eine Transplantation belaufen sich auf etwa 10.000 Dollar. Für eine Verpflanzung wird üblicherweise Gewebe von mehreren Föten verwendet. Gewonnen wird das Fötalgewebe bei Abtreibungen. Diese sind in Rußland bis zum siebten Schwangerschaftsmonat legal und stellen mangels Verhütungsmitteln für russische Frauen häufig die einzig mögliche Geburtenkontrolle dar.

Das Moskauer Internationale Institut für Biologische Medizin, das einem Bericht des Stern zufolge von dem kalifornischen Schönheitschirurgen Michael Molnar gegründet wurde, kooperiert mit staatlichen Abtreibungskliniken. Direkt nach dem Eingriff werden die Föten im Labor zerlegt: „Gehirn, Hirnanhangdrüsen, Lungen, Leber, Rückenmark, Bauchspeicheldrüse, Haut, Knochen, Muskeln werden zerschnitten, in Gewebeportionen aufgeteilt“, bei minus 196 Grad schockgefroren und gelagert. (Stern 6/93)

Vom Verkauf des fötalen Gewebes erhoffen sich die BetreiberInnen der Gewebebank beträchtliche Profite. Denn fötale Zellen gelten inzwischen als „universelle Ersatzteile“ für Transplantationszwecke, da sie bei den EmpfängerInnen weniger Abstoßungsreaktionen hervorrufen als Gewebe von erwachsenen SpenderInnen.

Neben Rußland und den USA wurden Fötalgewebe-Transplantationen bereits in Schweden, China, Kuba, Mexiko, Polen, der Tschechoslowakei, Großbritannien, Frankreich und Spanien vorgenommen. Seit Mitte der 80er Jahre experimentierte man in der DDR an der Berliner Charite mit Fötalhirntransplantationen. In der BRD wurde vor einigen Jahren an der Ulmer Uniklinik mit fötalen Hirnzellen für die Hormondiagnostik geforscht, an anderen Zentren soll es „Grundlagenforschung“ geben. Neben Diabetes gelten als weitere Anwendungsfelder für Fötalgewebe die Parkinsonsche Krankheit (Schüttellähmung) – dabei wird Nervengewebe von 6 bis 18 Wochen alten Föten ins Gehirn verpflanzt –, die Alzheimer Erkrankung, Chorea Huntington, Multiple Sklerose und Anfallsleiden. Bei der Stoffwechselerkrankung Hurler Syndrom wurde sogar schon eine Verpflanzung „von Fötus zu Fötus“ praktiziert. Alle diese Verfahren sind hochexperimentell und haben bisher kaum Erfolg gezeitigt. In einigen Fällen verstarben die PatientInnen nach der Operation.

Doch nicht nur für Transplantationen ist das Gewebe der abgetriebenen Leibesfrucht gefragt: An embryonalen Zellen werden Medikamente getestet, sie dienen als Rohstoffe für Forschungszwecke, Impfstoffe, Pharmaka und die Kosmetikindustrie. In den 80er Jahren importierte die US-Army mehr als zehntausend Föten aus Südkorea zum „Stückpreis“ von 25 Dollar, um daran bakteriologische Waffen zu testen.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich längst ein schwunghafter Handel mit embryonalem und fötalem Gewebe entwickelt. Andrew Kimbrell recherchierte für sein kürzlich erschienenes Buch „The Human Body Shop“, daß in den USA inzwischen ein halbes Dutzend Firmen bestehen, die den wertvollen Rohstoff beschaffen. Sie erhalten ihre Ware von ÄrztInnen und Abtreibungskliniken und machen mit der Belieferung ihrer KundInnen bereits Millionenumsätze. Die Forschung mit Fötalgewebe war in den USA bisher eingeschränkt: 1988 hatte Präsident Reagan auf Druck der sogenannten „LebensschützerInnen“ staatliche Mittel für die Forschung mit Fötalgewebe aus Abtreibungen eingefroren – eine Maßnahme, die von der Scientific Community heftig angegriffen wurde. Bereits am dritten Tag nach seinem Amtsantritt hob Präsident Clinton im Januar diesen Bann auf. Obwohl damit für die Expansion der Forschung gesorgt ist, befürchten WissenschaftlerInnen, daß der notwendige „Nachschub“ wegen der Blockadepolitik von AbtreibungsgegnerInnen in den USA stocken könnte. Da erscheint offenbar einigen ForscherInnen der Import aus Rußland, inklusive des entsprechenden Know- How, günstiger.

KritikerInnen befürchten, daß bald, analog zum Handel mit Blut, Organen, Sperma und Eizellen, ein Fetalgewebe-Markt entsteht – angetrieben von der unersättlichen Nachfrage des neuen medizinischen Forschungszweigs. Der russisch-amerikanische Vertrag erscheint als Vorbote einer Entwicklung, in der Sozialhilfeempfängerinnen, Frauen aus Osteuropa oder der Dritten Welt künftig zu ständigen „Lieferantinnen“ von Fötalgewebe werden könnten, also gar gezielt „ein bißchen schwanger“ werden, um dann abzutreiben und das Gewebe zu verkaufen. – Der Frauenkörper als Plantage für den nachwachsenden Rohstoff der Fetalgewebeindustrie.

Die gezielte Zeugung eines Menschen allein zum Zweck des Ausschlachtens und Verwertens ist schon keine Fiktion mehr: Schon vor Jahren bot eine US- Amerikanerin an, sich mit dem Sperma ihres an Alzheimer leidenden Vaters künstlich befruchten zu lassen, um später eine gezielte Abtreibung vorzunehmen und dem Vater das Gewebe zu transplantieren. Aus den USA und Italien wurden dutzende vergleichbare Fälle bekannt, in denen Kinder eigens zu dem Zweck gezeugt wurden, nach der Geburt Knochenmark für Geschwister zu spenden. – Ist die Technik erst einmal etabliert, werden sich Frauen kaum dem sozialen Druck entziehen können, für kranke Familienangehörige „Fötalmaterial“ zu spenden. Ein Schwangerschaftsabbruch wird dann künftig nur noch als vertretbar gelten, wenn die Frau der zweckdienlichen Verwendung ihrer Abtreibung als „Gewebespende“ zustimmt.

Janice Raymond, Professorin für Frauenstudien und Medizinethik an der Universität of Massachusetts, hat darauf hingewiesen, daß sich Zeitpunkt und Methode des Schwangerschaftsabbruchs ändern, wenn das Gewebe transplantiert werden soll. Denn „geerntet“ werden – so der MedizinerInnenfachchargon – sollen möglichst intakte, lebende und weit entwickelte Föten. Für die Frau wird der Eingriff damit aber riskanter. Grundsätzlich verändert sich mit der Fötalindustrie der Blick auf die Frau: Während eine Frau sich selbst als Schwangere wahrnimmt, wird sie aus der Perspektive von ForscherInnen und Kranken zur potentiellen Gewebespenderin. Welch kulturverändernder Umbruch sich mit dem Recycling von Körperteilen und der Umdefinition der Frau zur lebenden Gewebebank vollzieht, ist bisher kaum ansatzweise gesellschaftlich diskutiert.

Die deutsche Ärztekammer hat Ende 1991 Richtlinien zur Verwendung von Fötalgewebe erstellt. Diese haben allerdings nur Empfehlungscharakter im Sinne einer Selbstverpflichtung. Demnach soll die Frau ihr Einverständnis zur Verwendung des Abtreibungsgewebes geben, – und zwar erst nachdem sie sich zum Abbruch entschlossen hat, um ihre Entscheidung nicht zu beeinflussen. Die Frau darf kein Geld für das Gewebe erhalten, und die EmpfängerIn – etwa Verwandte oder FreundInnen – nicht selbst bestimmen. Forschungen und „therapeutische“ Maßnahmen mit Fötalgewebe sollen von einer Ethikkommission genehmigt werden. Zur „Sammlung, Aufbewahrung und Verteilung fetaler Gewebe“ empfiehlt die Bundesärztekammer „die Einrichtung von Gewebebanken“.

Damit sind die Weichen auf eine weitere Expansion der Fötalindustrie gestellt: Wird doch damit das Experimentieren mit der Leibesfrucht für „theoretische oder praktische Erkenntnisse der Medizin auf prophylaktischem, diagnostischem oder therapeutischem Gebiete“ vom ÄrztInnenstand gutgeheißen und abgesegnet. Tatsache bleibt indes, daß die Fötaltransplantation bisher noch keinen Menschen von seiner Krankheit geheilt hat. Das Orientieren auf diese Technik entwürdigt Frauen und degradiert sie zu fötalen Brutkästen – und es verleitet dazu, andere Wege bei Krankheitsursachen und Heilung gar nicht mehr zu suchen.