Tagebuch eines toten Journalisten

■ In Tschechien soll ein Ex-Geheimdienstagent Informationen an einen Investitionsfonds verkauft haben

Prag/Berlin (taz) – In der Tschechischen Republik gibt es kein Sommerloch mehr, Prag hat seinen ersten, ganz großen Korruptionsskandal. Vaćlav Wallis, ehemaliger Agent des nachrevolutionären „Föderalen Sicherheitsdienstes“ (FBIS) soll geheime Daten an „Harvard“, einen der führenden Privatisierungsfonds der Republik, verkauft haben. Nach Berichten tschechischer Tageszeitungen handelte es sich um Unterlagen über die finanzielle Situation anderer Privatisierungsgesellschaften sowie um Informationen über das Privatleben von Ministerpräsident Klaus sowie Präsident Havel.

Daneben soll Harvard-Chef Viktor Kožený auch schriftliche Materialien über einen privaten Informationsdienst der Regierungspartei ODS erhalten haben. Nach Informationen eines weiteren früheren Mitarbeiters des FBIS wollte sich die größte Partei des Landes mit diesem Dienst Informationen über den politischen Gegner verschaffen. Havel und Klaus wurden in ihren Urlaubsdomizilen inzwischen von dem Vorfall unterrichtet.

Obwohl in Prag seit Beginn des sogenannten „Kuponprivatisierung“ über illegale Weitergabe von internen Informationen spekuliert wird, gab es bisher kaum Belege. In den letzten Tagen haben sich nun Spuren im Fall Wallis immer mehr verdichtet. So soll Kožený Wallis 500.000 Kronen (30.000 DM) für das Datenpaket gezahlt haben, gleichzeitig von diesem jedoch erpreßt worden sein. Der 48jährige Ex-Agent wollte eine Stelle bei dem Investitionsfond. Als Druckmittel hielt er dabei einen weiteren Trumpf in der Hand: Private Informationen über Kožený und die Geschäfte seines Unternehmens.

Die Quellen, aus denen Wallis all sein Wissen schöpfen konnten waren erstklassig. Privatinformationen über Politiker erhielt er von der inzwischen aufgelösten tschechoslowakischen „Stasi“, dem STB, und einem ausländischen Informationsdienst. So enthielten die Materialien, die er Kožený übergab, nach einem Bericht der Tageszeitung Lidové noviny auch die Behauptung, daß die Veröffentlichung des Tagebuchs eines Radiojournalisten aus Ostrava für Premier Klaus sehr unangenehm werden könnte. Der Jouranlist, der im November 1991 brutal in seiner Wohnung ermordet worden war, hatte zuletzt als Parlamentsberichterstatter in Prag gearbeitet. Polizeiexperten sahen den Mord im Zusammenhang mit den homosexuellen Verbindungen des 28jährigen. Bei den Untersuchungen hatte jedoch nicht festgestellt werden können, daß er ein Tagebuch geführt hatte. Spekuliert wird nun in Prag, ob Wallis seine Materialien aus eigener Initiative oder im Auftrag seiner Vorgesetzten gesammelt hat. Der Ex-Agent befindet sich in Untersuchungshaft. T.Niederberghaus/S.Herre