Polens Zementwerke werden ausverkauft

■ Gewerkschafter hatten vergeblich eigenes Konzept für Gorazdze vorgelegt

Gorazdze (taz) – Es sollte die Transaktion des Jahres werden. Doch statt mit knallenden Sektkorken wurde Polens Privatisierungsminister Janusz Lewandowski mit Pfiffen empfangen, als er auf den Hof der Zementwerke „Gorazdze“ südöstlich von Oppeln fuhr. Das Solidarność-Komitee der Firma hatte Protestflaggen ausgehängt und drohte mit Streik.

Der Ausverkauf der polnischen Zementindustrie an den belgischen Konzern CBR SA sollte verhindert werden. Die Gewerkschafter hatten ein eigenes Konzept zur Privatisierung: eine Zementholding mit der Belegschaft und polnischen Banken als Partner. Der Nachteil: Ihr Kaufangebot lag um ein Mehrfaches unter dem der Belgier.

Privatisierungsminister Lewandowski, Polens von den Gewerkschaften meistgehaßter Politiker, setzte sich durch. Nach drei Jahren zäher Verhandlungen nutzte er die Tatsache, daß Präsident Walesa das Parlament aufgelöst hatte – und unterschrieb. Für umgerechnet knapp 170 Millionen DM erhält CBR SA nun 30 Prozent der Aktien von Gorazdze und 42 Prozent der Aktien der benachbarten Zementfabrik „Strzelce Opolskie“. Dort wurden die Belgier mit stehendem Applaus empfangen, denn „Strzelce“ hätte ohne sie schließen müssen. Ähnlich ging es auch der Zementfabrik „Odra“ in Oppeln, der das Aus aus ökologischen Gründen drohte. Dort kaufte sich die deutsche „Miebach Projektgesellschaft mbH“ mit 80 Prozent für 6 Millionen DM ein. Um aus der Dreckschleuder eine saubere Fabrik zu machen, verpflichtete sich Miebach zur Investition von insgesamt 31 Millionen DM in den nächsten sechs Jahren.

Modernisiert werden soll auch „Strzelce“, die noch auf sowjetischer Technologie der siebziger Jahre basiert. Zusätzlich wird sie mit der modernen und wettbewerbsfähigen „Gorazdze-Fabrik“ auch kapitalmäßig verflochten. Krystian Warzecha, stellvertretender Vorsitzender der Solidarność in Gorazdze, ist trotzdem dagegen: „Zur Zeit haben wir im Zementbereich in Polen Überproduktion. Aber schon in ein paar Jahren, wenn das Regierungsprogramm zum Ausbau der Autobahnen anläuft, ändert sich das. Aber dann gehören die Rosinen den Belgiern.“ Die Gefahr, daß diese dann Zement importieren und die polnischen Betriebe nur als Vertriebsnetze benutzen, ist allerdings gering: Die Importpreise sind doppelt so hoch wie die polnischen.

Im Warschauer Privatisierungsministerium hat man eine einfache Erklärung für die umständlichen Begründungen der schlesischen Gewerkschafter: einige der Funktionäre wollen bei den Wahlen kandidieren. In seltener Einigkeit haben sowohl die radikale Rechte als auch Polens Exkommunisten das Wahlkampfthema entdeckt. 1.650 Menschen sind in Gorazdze beschäftigt, weniger als die Hälfte gehört einer Gewerkschaft an. Nur ganze 18 Prozent davon sind bei Solidarność organisiert.

Im Kaufvertrag mußten sich die Belgier zu einer anderthalbjährigen Arbeitsplatzgarantie für die 2.700 Beschäftigten verpflichten. In den darauffolgenden dreieinhalb Jahren dürfen sie maximal 10 Prozent entlassen. Trotzdem waren bei einem Referendum 85 Prozent der Belegschaft gegen den Kontrakt mit den Belgiern.

„Gorazdze ist ein moderner Betrieb“, gesteht Lewandowskis Pressesprecherin Anna Garbolinska zu. Aber in den neuen Bundesländern entstehe eine harte Konkurrenz, gegen die ohne ausländisches Know-how und Kapital nichts auszurichten sei. Angesichts des Wahlkampfes sprechen Ministerialbeamte bereits von einer „Atmosphäre der Belagerung“ im Ministerium. Um die Privatisierung zu verhindern, erklärte das den Christnationalen unterstehenden Industrieministerium Gorazdze zu einem „strategisch wichtigen Betrieb“. Zuletzt stieß auch Präsident Walesa zu den Lewandowski-Belagerern: „Paßt genau auf, für welchen Preis eure Firma verkauft wird“, forderte er die Arbeiter auf. Anna Garbolinska: „Die Einsicht, daß ein Unternehmen nur soviel wert ist, wie jemand bereit ist, dafür zu zahlen, hat sich selbst nach drei Jahren Privatisierung noch nicht überall durchgesetzt.“ Klaus Bachmann