Chile „verfaxt“ seine Bäume

Einzigartiges Gehölz aus der Subantarktis wird zu Sägespänen verarbeitet und exportiert / Vier Firmen profitieren davon  ■ Aus Santiago Astrid Prange

Die revolutionären Veränderungen in der Kommunikationsbranche haben Chile einen neuen Exportartikel beschert: Zur Herstellung von Fax- und Computerpapier liefert der Andenstaat tonnenweise Sägespäne ins Ausland, insbesondere nach Japan und in die USA. Um den wachsenden internationalen Bedarf zu stillen, werden im Süden des Landes die wenigen noch vorhandenden ursprünglichen Küstenwälder vernichtet.

Die einzigen subantarktischen Küstenwälder der Welt bilden aufgrund des rauhen Klimas ein besonders fragiles Ökosystem. Die niedrig gewachsenen Bäume benötigen aufgrund der eisigen Temperaturen 80 bis 100 Jahre, um ihre endgültige Größe zu erreichen. Gegenüber Stürmen mit Geschwindigkeiten bis zu 130 Stundenkilometern halten die kurzen Wurzeln zudem nicht immer Stand.

Nach offiziellen Angaben werden von den insgesamt 76.000 Quadratkilometern ursprünglicher Küstenwälder in Chile jährlich 1.218 Quadratkilometer Gehölz vernichtet. „Dies entspricht 450 Fußballfeldern pro Tag“, erklärt Pedro Fernandez, Vorsitzender des chilenischen Komitees zur Verteidigung von Fauna und Flora (Codeff) aus der Hauptstadt Santiago. Die Umweltschutzorganisation hat mittlerweile über 50.000 Unterschriften gesammelt, um Chiles Präsident Patricio Aylwin zum Einschreiten zu bewegen.

Doch die Wachstumsraten des Geschäfts sind zu verlockend. 1991 exportierte Chile nach Angaben der Umweltschutzorganisation „Fide XII“ aus der südchilenischen Stadt Punta Arenas drei Millionen Tonnen Sägespäne, 74 Prozent mehr als im Jahr zuvor. „Die Hälfte des Holzes, das Chile exportiert, wird in Sägespäne verwandelt“, erklärt Alfredo Fonseca Mihovilovic, Direktor der ONG. Um die chilenische Öffentlichkeit auf den Raubbau an den natürlichen Ressourcen aufmerksam zu machen, hat Mihovilovic ein Dossier über den Boom in der Holzbranche erstellt.

Noch 1986 führte Chile lediglich Holz im Wert von 403 Millionen US-Dollar aus. Fünf Jahre später betrugen die Deviseneinnahmen aus dem Holzgeschäft bereits 913 Millionen US-Dollar. Experten schätzen, daß der Erlös um die Jahrtausendwende auf zwei Milliarden Dollar ansteigen könne.

„Fide XII“-Chef, Monsenor Tomas Gonzalez Morales, ist von dem Boom weniger angetan: „Die Deviseneinnahmen, die Chile für den Export von Sägespänen bekommt, sind äußert spärlich“, gibt der Bischof von Punta Arenas zu bedenken. Zur Zeit würden auf dem Weltmarkt für das ehemalige Abfallprodukt aus der Holzindustrie pro Tonne gerade 50 US-Dollar gezahlt. Der Preis für bearbeitetes Holz, zum Beispiel Möbel, liegt um das Zehnfache höher.

Erschwerend kommt hinzu, daß der Raubbau der Küstenwälder nicht einen großen Teil der Bevölkerung, sondern lediglich eine Handvoll chilenischer Unternehmer bereichert. Nach offiziellen Angaben sind 90 Prozent der kommerziellen Küstenwälder in privater Hand, die Hälfte davon wird von vier Firmen kontrolliert: „Misca“, „Setec-Sel“, „Maderera Monte Alto“ und Sociedad Agricola y Ganadera Cameron Ltda.

„Die Unternehmer behaupten, daß die Sägespäne lediglich aus Aufforstungsgebieten stammen. In Wirklichkeit werden alle Bäume dafür genutzt“, behauptet Senatsmitglied Gabriel Valdes Subercaseaux. Der Politiker räumt ein, daß die chilenischen Behörden bei der Kontrolle von illegalen Abholzungen überfordert seien und deshalb die Normen „konstant überschritten werden“.

Im chilenischen Parlament wird zur Zeit auf Initiative von Staatsoberhaupt Aylwin ein Projekt zum Schutz der bedrohten Küstenwälder diskutiert. Allein die Diskussion über das Thema hat die Holzbranche bereits in hellen Aufruhr versetzt: Das Projekt würde die Wälder nicht schützen, sondern ersticken, befand der Vorsitzende der chilenischen Holzhändlervereinigung (Corma), Eladio Susaeta. „Der aktuelle Holzbestand ist nicht viel wert“, so Susaeta, nur bei optimaler Nutzung täten sich bemerkenswerte Möglichkeiten auf.

Eine dieser „bemerkenswerten Möglichkeiten“ ist nach Ansicht der Umweltschützer die Möbelindustrie. Statt knappen Rohstoff zu niedrigen Weltmarktpreisen zu verschleudern, solle Chile in die Möbelbranche investieren, schlagen sie vor. Senator Subercaseaux hat bereits ein Vorbild aufgetan: Dänemark. Das Land habe mit Einfallsreichtum einen devisenbringenden Industriezweig aufgebaut ohne über den notwendigen Rohstoff zu verfügen.