„Focus“ erzielt Punktsieg gegen Rudolf Scharping

■ Gericht hob einstweilige Anordnung auf

Hamburg (dpa/taz) – Über die Frage, wann der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Rudolf Scharping von der Existenz des V-Mannes Klaus Steinmetz unterrichtet wurde, darf weiter öffentlich spekuliert werden. Im Rechtsstreit zwischen dem SPD-Vorsitzenden und Focus hob das Hamburger Landgericht gestern eine von Scharping erwirkte einstweilige Verfügung vom 21. Juli auf.

Demnach darf das Magazin auch weiterhin die Meinung verbreiten, Scharping habe – entgegen eigenen Angaben – bereits vor dem 4. Juli von dem V-Mann gewußt. Die Pressekammer wertete das in ihrem gestrigen Urteil als „zulässige Meinungsäußerung“. Die Vorsitzende Richterin Ingrid Münzberg betonte allerdings in ihrer Begründung, das Urteil besage nichts über den Wahrheitsgehalt der Aussage. Es handele sich bei dem Fall um eine Gratwanderung, in dem der Meinungsäußerung Vorrang gegeben werde. Während sich Scharpings Anwältin Ute Lelgemann mit dem Spruch wenig zufrieden zeigte – „ich sehe das weiterhin anders“ –, und die Mainzer Staatskanzlei Berufung ankündigte, reklamierte Focus-Anwalt Schweizer das Urteil als „Gewinn für die gesamte Presse“.

Mit dem Urteil ist gesichert, daß die Presse mit solchen Einschätzungen über den Wahrheitsgehalt von Politikeräußerungen ihre Kontrollfunktion wahrnehmen kann. Die Vermutung, Scharping sei von seinem Innenminister nicht erst nach dem Generalbundesanwalt und nach der Parlamentarischen Kontrollkommission über den vom Mainzer Verfassungsschutz geführten Top-Spitzel informiert worden, könnte so aufklärerische Impulse entwickeln. Die entschlossene Art jedenfalls, mit der sich Scharping auf einen eher aussichtslosen Rechtsstreit eingelassen hat, gibt der Focus-Vermutung einen – wenn auch sachfremden – Kick. eis