Schwere Vorwürfe gegen Asylbehörden

■ Arbeiterwohlfahrt wirft Behörden Rechtsbrüche und Schlampigkeit vor / „Hochgradig inkompetent oder böswillig“

Schwere Vorwürfe gegen die Berliner Asylbehörden erhebt die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Vor allem die Außenstelle des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in der Streitstraße sei entweder „hochgradig inkompetent oder böswillig“, sagt AWO-Flüchtlingsberaterin Birgit Ammann. So häufen sich bei der AWO seit Mitte Juli die Fälle von Asylsuchenden, die von der Polizei ohne Vorwarnung und ohne rechtliche Grundlage aus ihren Unterkünften zur Abschiebung abgeholt werden. In nahezu allen diesen der AWO bekannten Fällen ließen sich frappierende Fehler des Bundesamts feststellen. Die Fehlerquote betrage mindestens 50 Prozent, meint Birgit Ammann, das heißt, jede zweite Abschiebung beruhe „auf einem klaren Rechtsbruch“.

Häufigster Fehler: Obwohl das Bundesamt verpflichtet ist, Flüchtlingen ihren Ablehnungsbescheid zuzuschicken, macht es das nicht oder schickt es an die falsche Adresse. So gelang es am 15. Juli der AWO buchstäblich in letzter Sekunde, die im fünften Monat schwangere Libanesin Samiya E. einschließlich ihrer beiden Kinder aus dem Flugzeug nach Beirut herauszuholen. Das Bundesamt hatte, obwohl die neue Adresse – ein DRK-Heim am Stuttgarter Platz – nachweislich bekannt war, den Ablehnungsbescheid an ein Heim in Tempelhof geschickt. Die Frau fiel aus allen Wolken, als die Polizei plötzlich mit Abschiebewagen vor der Tür stand. Weil hier der Formfehler einwandfrei nachzuweisen war, konnte die AWO noch am Flughafen einen Eilantrag auf aufschiebende Wirkung an das Verwaltungsgericht stellen.

Zweithäufigster Fehler: Das Bundesamt teilt dem Landeseinwohneramt nicht mit, daß ein Asylbewerber Klage beim Verwaltungsgericht erhoben hat. Dies bedeutet, daß das Meldeamt aufgrund der fehlenden Information eine Abschiebeverfügung unterschreibt, obwohl das Verfahren durch die Klageerhebung noch läuft. So glückte es der AWO ebenfalls am 15. Juli, den Libanesen Machmoud Ali N. vom Rollfeld im Flughafen Schönefeld zu holen. Nur weil es Birgit Ammann gelang, die Bundesgrenzschützer zu einem Anruf beim Verwaltungsgericht zu überreden und die BGS-Beamten so persönlich erfuhren, daß eine Abschiebung illegal wäre, sitzt Machmoud Ali N. heute nicht in Beirut.

„Das neue Asylgesetz ist schon übel genug“, klagt die Flüchtlingsberaterin, aber noch „grausamer“ sei es, daß dieses Gesetz durch die unkoordinierte Arbeit der mit der Abschiebung befaßten Behörden verschlimmert werde. „Es ist ein Skandal“, sagt Birgit Ammann, „daß unsere Flüchtlingshilfe jetzt darin besteht, Amtsfehler auszubügeln, indem wir überhaupt erst einen Informationsfluß zwischen Bundesamt, Landeseinwohneramt, Abschnittspolizei, Überführungsstelle und BGS herstellen.“

Die Liste von Abschiebungen oder Abschiebungsversuchen, entstanden durch Chaos und Imkompetenz bei den Behörden, lasse sich „beliebig verlängern“, sagt auch AWO-Beraterin Katharina Vogt. So trenne das Bundesamt willkürlich Familienverfahren, nehme keine Rücksicht auf Hochschwangere, Kranke, Kleinkinder oder alleinstehende Minderjährige. So wurde Mitte Juli ein 15jähriger Junge nach Beirut ausgewiesen, obwohl die Betreuung dort ungesichert ist. Das sei ein eindeutiger Verstoß gegen eine senatsinterne Weisung von 1988 zur Behandlung von minderjährigen Flüchtlingen. Ihr seien Fälle bekannt, wonach Kinder sogar in Bürgerkriegsländer abgeschoben wurden, zum Beispiel nach Angola. Ein genereller Abschiebestopp gelte derzeit nur für Kroatien, Bosnien und den Nordirak.

Erst vor kurzem brachte sich die 23jährige Palästinenserin Nazmieh C. im Frauengefängnis Plötzensee um. Sie sollte nach der Verbüßung einer viermonatigen Haftstrafe in diesem Monat in den Libanon abgeschoben werden. Die Frau lebte hier seit ihrem vierten Lebensjahr. Anita Kugler