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Hoffen auf die Gläubiger

Die Fotosatzherstellerin Berthold AG in Steglitz will den drohenden Konkurs abwenden / Kräftige Umsatzverluste in den letzten Jahren  ■ Von Severin Weiland

Die Beschäftigten der Berthold AG in Steglitz, dem renommierten Hersteller von Fotosatztechnik, haben lange Zeit keine gute Nachricht mehr gehört. Ihr krisengeschütteltes Unternehmen, das vor über einem Jahr den Vergleich mit den Gläubigern anmelden mußte, hatte ihnen seit April keine Löhne und Gehälter mehr gezahlt. Am Montag dieser Woche überraschte sie Hauptvorstand Heribert Morgott mit der Nachricht, daß der Konkursverwalter nunmehr zugestimmt habe, ein Drittel der Gehälter und Löhne vom Mai auszuzahlen.

Der bescheidene Geldsegen dürfte die Nerven der Mitarbeiter nur ein wenig entspannt haben. Denn das weitere Schicksal des Unternehmens entscheidet sich in den nächsten zehn Tagen. Dann nämlich wird das Amtsgericht Charlottenburg darüber zu befinden haben, ob das vor gut einem Monat eröffnete Anschlußkonkursverfahren für die Berthold AG rechtskräftig wird. Alleinvorstand Heribert Morgott und sein Team müssen bis dahin beweisen, daß der immer wieder hinausgeschobene außergerichtliche Vergleich mit den rund 900 Gläubigern doch noch in allerletzter Minute zustande kommt. Andernfalls droht das Ende.

Ziel von Morgott: die bisherige Vergleichssumme von rund sieben Millionen Mark noch weiter herunterzudrücken. Er selber ist optimistisch, daß ihm dies noch gelingt. 90 Prozent der Gläubiger hätten bereits diesem Vorschlag zugestimmt. Die „offene Flanke“, so gesteht Morgott allerdings freimütig gegenüber der taz, seien die 10 Prozent der Gläubiger, die von dieser Variante noch nicht überzeugt seien. Von ihnen hängt nun alles ab – vor Gericht muß ein einstimmiger Beschluß der Gläubiger präsentiert werden. Gelder für einen Neuanfang sind mittlerweile ebenso vorhanden wie ein neuer Investor aus Westdeutschland. Der vorherige Interessent, das niederländische Familienunternehmen Janivo Holding B.V. war erst kürzlich – nach langwierigen Verhandlungen – wieder abgesprungen. Am 28. Juli, so Morgott, habe der Senat eine Landesbürgschaft von elf Millionen Mark zugesagt, auch Banken hätten neue Kredite eingeräumt.

Verfehlte Investitionen

Für die wirtschaftliche Malaise bei der Berthold AG, die sich schon seit geraumer Zeit abzeichnete, macht Morgott ein ganzes Bündel an Ursachen verantwortlich. Vor allem durch die „verfehlte Akquisitionspolitik“ sei der finanzielle Spielraum des Unternehmens Mitte der achtziger Jahre immer enger geworden. 1980 hatte das Berliner Unternehmen mit hohen Summen eine US-Firma in Chicago erworben, aus dem man sich jedoch Schritt für Schritt wieder verabschiedete. Ebenso zum Scheitern verurteilt war das Unterfangen, mit der Herstellung von Computern die Tore zu neuen Märkten aufzustoßen. „Auf die Füße gefallen“, so Morgott, sei man auch mit der angestrebten Diversifikation im Bereich der computergesteuerten Fertigung CAD/ CAM.

Hinzu kamen rezessionsbedingte Rückgänge, die sich vor allem auf die Druckindustrie – dem Hauptlieferanten der Berthold AG – auswirkten. Als erstes erfolgten massive Einbrüche auf den Märkten in England und der Schweiz, wo die Druckindustrie wegen der zurückgehenden Aufträge aus der Werbebranche folglich weniger bei der Berthold AG orderte. Der Umsatz des Unternehmens fiel stetig: von 220 Millionen 1990 über 140 Millionen 1991 auf schließlich 78,5 Millionen im vergangenen Jahr. Entsprechend stark war auch der Personalabbau. Die Belegschaft wurde bundesweit von einst 1.200 Mitte der achtziger Jahre auf nunmehr 421 heruntergefahren, davon entfallen 291 auf die Berliner Zentrale.

Schließlich half auch der Sparkurs nicht mehr. Nachdem der Versuch mißlungen war, die Berliner Krone AG für eine finanzielle Beteiligung zu gewinnen, mußte im Mai 1992 der Vergleich mit den Gläubigern abgeschlossen werden. Nach der Absage der niederländischen Janivo Holding B.V. setzt Morgott nun auf den westdeutschen Investor. Über den Namen schweigt er sich beharrlich aus. Nur so viel läßt er sich entlocken: Der Interessent sei nicht aus der Branche, demnach kein Konkurrent.

Stolz verweist Morgott auf das neue Finanzierungsmodell, mit dem neues Eigenkapital in die Berthold AG hineingepumpt werden soll. Bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich fast als eine Konstruktion aus der Szene alternativer Unternehmen. Neben den rund 17 Millionen Mark aus Landesbürgschaft und Bankkrediten, weiteren 6,5 Millionen des Investors, will allein die Belegschaft 2,5 Millionen beisteuern. Und eine weitere Million immerhin das Management.

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