■ Rühe und die deutsche „humanitäre Hilfe“ in Somalia
: Meister der Nebelkerzen

Verteidigungsminister Volker Rühe ist von den humanitären Hilfsorganisationen „enttäuscht“. Das Internationale Rote Kreuz habe seine Unterstützung für das Krankenhaus in Belet Huen eingestellt; das Deutsche Rote Kreuz sei entgegen der ursprünglichen Planung dort noch immer nicht eingetroffen: Hielten nicht Bundeswehrärzte in der Klinik ambulante Sprechstunden ab, so der Minister kürzlich bei seinem Truppenbesuch, dann blieben die Patienten dort ohne jede Hilfe von außen.

Wenn das ein Kriterium für die Entsendung deutscher Soldaten in entlegene Teile der Welt sein sollte, dann eröffnete sich der Bundeswehr ein reiches Betätigungsfeld. Im Krankenhaus von Belet Huen arbeiten somalische Ärzte. Medikamente sind in umliegenden Apotheken nur noch gegen Bezahlung erhältlich. Die medizinische Versorgung ist zwar weit von mitteleuropäischen Standards entfernt, aber doch erheblich besser als in vielen anderen, auch friedlichen Regionen Afrikas.

Doch woher soll Minister Rühe das wissen? Somalia ist ebenso wie der Rest des Kontinents für westliche Politiker, die im Augenblick die Weichen für die Zukunft des Landes stellen, ein weißer Fleck auf der Landkarte. Das scheinbare Mitgefühl mit der somalischen Bevölkerung dient lediglich als Nebelwerfer, mit dem von der eigentlichen Diskussion abgelenkt werden soll. Gestritten werden kann – und sollte – über die Frage, ob ein militärischer Einsatz die notwendige Voraussetzung ist, um überhaupt humanitäre Hilfe in Somalia leisten zu können. Dagegen spricht vieles: Nicht nur, daß es den UNO- Truppen bisher bekanntlich nicht gelungen ist, die Lage in Mogadischu unter Kontrolle zu bringen. Weit aufschlußreicher ist die Tatsache, daß im Rest des Landes derzeit fast nirgendwo gekämpft wird – unabhängig davon, ob in einer Region ausländische Soldaten stationiert sind oder nicht. Ausgerechnet im Nordteil, der sich 1991 vom Süden abgespalten und die unabhängige Republik Somaliland ausgerufen hat, haben es mehr als tausend Älteste in wochenlangen Beratungen geschafft, sich auf eine gemeinsame Regierung zu einigen. Dort operierten niemals Militärs im Auftrag der UNO.

Nun ließe sich auch dieser Argumentation manches entgegenhalten. Aber die Bundesregierung macht sich gar nicht die Mühe, sich damit auseinanderzusetzen. Statt dessen bedient sie sich eines Taschenspielertricks: Das weitestgehende militärische Mandat, das die UNO Truppen jemals erteilte – Frieden notfalls mit Gewalt zu schaffen –, wird in der öffentlichen Diskussion in einen unmittelbaren humanitären Auftrag umgemünzt. Wenn es in Deutschland eine Opposition gäbe, die diesen Namen verdient, hätte das den Regierenden nicht so mühelos gelingen können. Aber während die SPD sich fast ausschließlich um eine mögliche Gefährdung der Soldaten zu sorgen schien – ganz so, als sei die Sicherheit des Militärs und nicht etwa die deutsche Geschichte der Grund für bestimmte Restriktionen in der deutschen Verfassung –, spielt der eigentliche Charakter des Auftrags in der Kontroverse so gut wie keine Rolle.

Humanitäre Arbeit, die die Bundeswehr in Belet Huen leistet, ist ein, wenn auch löbliches, Abfallprodukt der Aufgabe, logistische Hilfe beim Vormarsch anderer Kontingente in nördliche Regionen Somalias zu leisten. Um ambulante Sprechstunden in einem Krankenhaus abzuhalten und ein paar 1.000 Liter Wasser in die Zisternen von Flüchtlingslagern zu füllen, müssen nicht 1.700 Soldaten samt Fahrzeugen und Waffen Tausende von Kilometern weit geflogen werden. Das läßt sich mit weit geringeren Mitteln erreichen – wie ausgerechnet das von Volker Rühe so geschmähte Rote Kreuz in Somalia vorbildlich gezeigt hat.

Und die Organisation wird es auch weiter vorführen: Am Dienstag hat die Föderation des Roten Kreuzes angekündigt, gemeinsam mit dem somalischen Roten Halbmond (der einzigen noch landesweit arbeitenden nationalen Institution) 50 Kliniken in ganz Somalia einzurichten. Kostenpunkt: 23 Millionen Dollar bis Ende 1994 – ein Bruchteil dessen, was die Militäroperationen der UNO kosten.

Die Angriffe des deutschen Verteidigungsministers im Zusammenhang mit unzureichender humanitärer Hilfe für Somalia richten sich an die falsche Adresse. Das aber ist kein Lapsus, das hat Methode: Ausschließlich nichtstaatliche Organisationen wurden von ihm gegeißelt. Mit keinem Wort erwähnte Rühe hingegen das Versagen des humanitären Flügels der UNO. Es war bereits ein Skandal, daß das Internationale Rote Kreuz fast allein im Kampf gegen des Elend stand, als die Kämpfe in Somalia am heftigsten tobten. Mit „Schwierigkeiten, für die UNO- Mitarbeiter geeignete Versicherungen zu finden“, begründete noch im letzten Frühjahr ein Sprecher der Weltorganisation die beschämende Tatsache, daß humanitäre UN-Organisationen mehr als ein Jahr nach Siad Barres Sturz noch immer nicht nach Somalia zurückgekehrt waren.

„Zu wenig, zu spät“: Diese kritische Bilanz der UNO-Hilfe hat den allseits geachteten UN-Unterhändler Sahnoun vergangenes Jahr seinen Job gekostet. Aber sie hält noch immer jeder Betrachtung stand. Die Situation Zehntausender Flüchtlinge in und um Belet Huen wird von der UNO jetzt gerade einmal „evaluiert“. Von koordinierter Versorgung, Repatriierungsprogrammen gar kann keine Rede sein, obwohl das Gebiet seit über zwei Jahren nicht Schauplatz größerer kriegerischer Auseinandersetzungen war. „Der humanitäre Flügel von UNOSOM hat eben nicht viel Geld“, meint resigniert UN-Mitarbeiter Abdus Salam Hashmi. In die Militäroperationen fließen dagegen Milliarden. Vor diesem Hintergrund ist Rühes Betonung der humanitären Arbeit der Bundeswehr blanker Zynismus.

Nun ist es nicht neu, in der politischen Auseinandersetzung Argumente vorzuschieben, um wahre Motive zu verschleiern – hier: das Interesse der Bundesregierung an einem Platz im Weltsicherheitsrat. Erschreckend aber ist, wenn's keiner merkt. Seit fast einem Jahr ist der Bürgerkrieg in Somalia beherrschendes Thema der Medien. Die Realität des Landes jedoch ist der Öffentlichkeit dadurch kaum nähergerückt. Der Glaube, ständige schnelle Berichterstattung sei dasselbe wie Information, hat sich einmal mehr als gefährliche Illusion erwiesen.

Inzwischen steht es fest: Unter den Todesopfern, die der Angriff der US-Helikopter auf das vermeintliche Hauptquartier von General Aidid forderte, waren Abgesandte verschiedener rivalisierender Gruppierungen und sogar Älteste aus Farrah Aidids eigenem Clan, die den General zu einer Politik des Dialogs mit der UNO bewegen wollten. Schlimm genug, daß ausgerechnet Vertreter eines versöhnlichen Kurses in Grund und Boden gebombt wurden. Aber ebenso schlimm ist die Tatsache, daß sich für diese Nachricht kaum jemand interessiert. Schlagzeilen hat sie nicht gemacht. Die komplizierte Realität Somalias stößt weder bei Gegnern noch bei Befürwortern des Bundeswehreinsatzes in Afrika auf großes Interesse. Bettina Gaus