Angenehm und humorvoll

■ Chefgespräch mit den Halbweltgrößen von „Motion“ zum Album-Debüt

Als das Subito, dieses mystische Loch von einer Kneipe, '91 vor der Schließung stand, entschieden sich der Wirt Lappen und sein Kompagnon Daniel Richter, ein paar Benefiz-Veranstaltungen in eigener Sache abzuhalten. Bald stellte der Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun zusammen mit anderen handfeste bis brüllkomische Bilder aus, das Brüderchen im Geiste Rocko Schamoni formulierte als solidarische Geste seine Hoffnung, von nun an „in die Dinge zu kommen“. Es muß in jenen Tagen gewesen sein, daß die tägliche Begegnung mit der fremden, seltsamen und beeindruckenden Welt wieder mal die Lust auf Verwirklichung von schon-immer-mal-fälligen Ideen bei Schamoni und Kamerun steigerte. Beide schrieben Material für eine Band, deren Name Motion - das bringt eine esoterische Phase von Schamoni so mit sich - mit „Bewegung“ aber auch mit „Stuhlgang“ übersetzt werden kann. Auf dem ersten Album Ex-Leben (Land, Meer)“ (What's So Funny About) belegt das zum Quintett erweiterte Ensemble sein Talent für die Verbindung von GoGo-Beat-Rhythmen, Musik-Witzen, Reminiszenzchen an die versunkene Kategorie des „perfekten Pop-Songs“, Lyrik und Kalauern. Der vielbeschäftigte Ale Sexfeind und der skeptische Psycho 1 vervollständigen als Schlagzeuger und Gitarrist die Besetzung. Lappen spielt Bass, der IBM Citystar alias Schamoni dankt von der Thanks-Liste aus Daniel Richter. Kristof Schreuf saß mit den Popstars zum zwanglosen Gespräch in der Motion-Chefetage.

Kamerun: Das Foto auf dem Innencover (ein anzugtragender, sprungbegabter junger Mann) ist bisher unser einziger Fehler. Das war nicht abgesprochen, und ich weiß auch nicht, was das da zu suchen hat. Wie kommst du darauf, daß es mit den 80ern zu tun hat?

taz: Es erinnert mich an den Titel des 81er Romans „Der große Hirnriß“ von Peter Glaser und Niklas Stiller .

Kamerun: Das Bild auf der Rückseite (Portrait eines jungen Mannes mit Hundehalsband und Sid-Vicious-Frisur) geht für mich schon eher in Ordnung: So provinziell und gleichzeitig so wach.

taz: Ihr verwendet Sachen, welche euch früher scheinbar mal beeinflusst aber irgendwann nicht mehr interessiert haben: Ideen aus den 80er Jahren oder auf dem neuen Album „Ex-Leben (Land, Meer)“ hörbare Beatles-Einflüsse.

IBM Citystar: Die Beatles sind für uns 'ne totale Größe.

Kamerun: Ich würde sagen, daß die Arbeit an den Arrangements ein paar Gesangs-Chorusse in diese Richtung mit sich brachte.

IBMCitystar: Bei „Penny Maclean“, haben wir ganz bewußt auf einen entsprechenden Effekt hin gearbeitet. Die Musik dafür hat übrigens Herr Walding (Knarf-Rellöm-Sichtweise) geschrieben.

taz: Hattet ihr bisher mit vor-zementierten Erwartungshaltungen von Publikumsseite zu kämpfen?

IBM Citystar (leicht säuerlich): Ein paar Mal hat es Spannungen gegeben, als wir zu Anfang des Konzerts nicht gleich Gags gebracht haben.

Kamerun: Also einmal, in Köln, haben wir es geschafft, angenehm, humorvoll und dabei im positivsten Sinne cool aufzutreten. Wir bekamen die Musik in etwa so hin, wie wir sie haben wollten, waren locker drauf und wie nebenbei amüsant.

taz: Motion müssen also nicht damit kämpfen, sich mehr als andere für ihre pointentechnische K(C)orrektheit anzustrengen ?

Kamerun: Bisher war es meistens in unserem Sinne verständlich. Manchmal auch mehr: Bei einigen Auftritten war ich fast entsetzt, als ganz viele Leute auf uns zukamen, die „großartig“ sagten und bestimmte „entscheidende Sachen erkennen“ konnten. Matthias Arfmann bezeichnete einen Auftritt als „genial“, während wir gar nicht mal immer nachvollziehen konnten, was wir da außer Lärm und Terror gemacht hatten. Ein paar Bekannte wollen bei den Keyboardpassagen sogar Pere Ubu herausgehört haben.

Ale Sexfeind: Ich würde ihnen nicht zustimmen, aber ich kann mir denken, wie sie darauf kommen.

taz: Spielt Tragik eine Rolle?

IBM Citystar: Finde ich schon. Tragische Inhalt müssen ja nicht bedeuten, daß sie von tragischen Figuren verbreitet werden.

Kamerun: Tragik ist das falsche Wort. Eher Traurigkeit. In dem Stück „Baum“ geht es um ein paar böse Momente, um Unsicherheit, darum, wie man etwas in den Griff kriegen soll. Etwas fällt immer wieder auf dich zurück, man versucht es zu umgehen, es gelingt aber nicht. Wie man es eben so kennt. Das Stück steht auch für Möglichkeiten, für eine Balance, wie ich sie bei den Goldenen Zitronen nicht mehr hinkriege.

IBM Citystar: Ähnliches gilt für mich. Als Rocko Schamoni könnte ich nicht mehr so persönlich werden, wie mit dieser Gruppe.

taz: Stehen Motion für einen Weg, Dinge mit der kleinstmöglichen Ungerechtigkeit auseinanderzuhalten?

Kamerun: Das hört sich so nach Vorsicht an. Wenn wir von Vorsicht sprechen wollen, sollten wir über Musik reden.

taz: Zum Beispiel über die schönen Akkordverbindungen in „Fick“ oder den halsschnürenden Chor in „Menschen aus Kiel“.

Kamerun: Warst du mal auf der „Kieler Woche“? Das ist die Hölle!

IBM Citystar: Die Kieler Woche ist sozusagen die Maximierung von Kiel. Alles, was in dieser Stadt sonst in Warteräumen, Zellen und Bunkern eingesperrt ist, wartet dann unglaublich angespannt...

Kamerun: ...und brutalisiert darauf, daß eine Schlägerei losgeht.

IBM Citystar: Eine lebensfeindliche Stadt, kalt und tot.

Kamerun: Kiel würde gerne den Schatten werfen, in dem es steht. Deshalb äußert es sich auf eine unverwechselbar beleidigte Art.

Motion: Ex-Leben (Land, Meer) (WSFA / INDIGO)