Noten in puncto Reisesicherheit

Einige Anmerkungen zu den Reiseempfehlungen des Auswärtigen Amtes: Statt Aufklärung Stigmatisierung und unfreiwilliges Politikum in internationalen Beziehungen  ■ Von Edith Kresta

Vor dem Hintergrund der am 27.06.1993 abends erfolgten Anschläge in Antalya an der türkischen Südküste, bei dem u.a. auch 9 Deutsche verletzt wurden, teilt das Auswärtige Amt nach pflichtgemäßer und sorgfältiger Überprüfung der Sachlage zu Reisen in die Türkei folgendes mit: Der Anschlag in Antalya zeigt, daß es trotz des großen Einsatzes der türkischen Behörden keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Das Auswärtige Amt sieht sich daher in der jetzigen Situation dazu gezwungen, auf das erhöhte Sicherheitsrisiko hinzuweisen. Die Frage, ob Touristen dieses Risiko eingehen können, muß jeder Reisende für sich selbst entscheiden ... Das Auswärtige Amt wird die Lage weiter sorgfältig beobachten und im Falle einer Verschärfung der Situation seine Haltung umgehend überprüfen. Im übrigen bleibt es bei der Reisewarnung hinsichtlich der südöstlichen Provinzen ... (Pressereferat des Auswärtigen Amtes vom 28.06.1993.)

Reiseempfehlungen oder Warnungen wie diese bezüglich der Türkei sind ein Verbraucherservice des Auswärtigen Amtes (AA) für den Staatsbürger. Der kann dort anrufen und sich den Sicherheitsgrad seines Urlaubslandes behördlich bescheinigen lassen. Aus den Reiseempfehlungen des AA ist allerdings keine Rechtsverbindlichkeit abzuleiten. Bei einer Reisewarnung, beispielsweise im Falle eines Bürgerkriegsausbruchs in einem touristischen Zielgebiet, hat der Verbraucher zwar de facto das Recht auf seiner Seite, Regreßansprüche beim Reiseveranstalter zu stellen, aber nicht de jure.

In der schwammigen Aussage dieser Empfehlungen versteckt sich ein unfreiwilliges Politikum hinter harmlosem Verbraucherservice. Doch die Verbraucher werden nicht wirklich aufgeklärt, sondern allenfalls verschreckt. Über den betroffenen Reiseländern schweben die Empfehlungen des AA wie ein Damoklesschwert. Einmal ausgesprochen, bringen sie Millionenverluste für die Tourismuswirtschaft der betroffenen Länder und werden zum Politikum. Von türkischer Seite wurde jüngst daraufhin gewiesen, daß die Türkei allen Grund hätte, eine Reisewarnung für Deutschland auszusprechen. Diese wäre mehr als berechtigt. Nur hätte sie sicherlich tausendmal weniger Auswirkungen als umgekehrt. Den wer aus der Türkei reist schon freiwillig nach Deutschland? Außer einem Verwandtenbesuch ist der Aufenthalt hier nicht den Sehenswürdigkeiten, sondern der nackten Existenzsicherung geschuldet. Das reiche Land gibt Arbeit und leistet sich darüber hinaus den Luxus der saisonalen Wanderbewegung Tourismus.

Reisen geschieht auf freiwilliger Basis. Da die Konjunktur einer Destination in hohem Maße vom Image und der Mode abhängt, ist die konkurrenzgesättigte Freizeitindustrie sehr anfällig. Eine Reisewarnung des AA, verschickt an alle Reisebüros, verschreckt neben den Touristen auch die Regierungen der betroffenen Länder nachhaltiger als ein Bombenattentat. Der Druck von innen wird zum Druck von außen. Das AA malt seine Empfehlungen daher vorsichtshalber mit dem Weichzeichner. Man will sich ja nicht ins Fettnäpfchen setzten, die Beziehungen gefährden.

Es fragt sich, was dieser halbherzige Reiseservice eigentlich soll. Da Touristen ohnehin selbst entscheiden müssen, ob „sie dieses Risiko eingehen“ (AA), und die Aufklärung über die reale Gefahr am Urlaubsort sehr oberflächlich daherkommt, dient die Reiseempfehlung des AA eher zur Stigmatisierung eines Landes als zu irgendeiner Aufklärung.

Denn was haben die Überfälle in Florida, die gemeine Verbrechen sind, mit den politisch motivierten Angriffen auf den türkischen Staat oder den gesellschaftspolitischen Anschlägen in Ägypten gemein? Nur eins: deutsche Touristen fielen ihnen zum Opfer. Die können aber auch in eine Schießerei im kolumbianischen Bogota, einen Bandenkrieg in New York oder ein Bombenattentat in Italien geraten. Die Fremde ist feindlich und ungewiß. Der touristische Drang zu Pseudo-Sicherheit und Versorgung des Reisenden im Ausland spielt sich auch auf politischer Ebene ab. Nur eben mit einer gnadenlosen Breitenwirkung auf die touristischen Destination, das Urlaubsland selbst.

Das AA ist sich dieses Einflußes bewußt. Würde es ihn auch nutzen, um politische Positionen zu beziehen – beispielsweise: „Reisen Sie nicht in die Türkei, denn dort wird eine repressive Politik gegen die Kurden geführt!“ – so würde ein politischer Standpunkt bezogen, den natürlich niemand im AA will. Die Ursachen zu benennnen, statt mit den Folgen verschämt Politik zu betreiben und die Verbraucher zu erschrecken, wäre selbstverständlich gänzlich unvereinbar mit marktorientierter deutscher Außenpolitik und ein isolierter Eingriff in „innere Angelegenheit“.

Die wachsweichen, undifferenzierten Empfehlungen des AA kann sich jede einigermaßen informierte Zeitgenossin schenken. Und offensichtlich sind sie auch dem AA selbst peinlich: „Keine Presseinformation“ wird von dort beschieden, „keine Stellungnahme zu den Kriterien nach außen.“ Ein Politikum, aus Weltpolitik und behördlichem Zufallsprodukt, das vor seinem eigenen Einfluß selbst zurückschreckt. Für touristische Länder wie Ägypten und die Türkei sind die Reiseempfehlungen in ihren Auswirkungen fatal, für die deutsche Außenpolitik unangenehm und für den Verbraucher kaum zu gebrauchen. Anderen Ländern Noten in puncto Sicherheit zu erteilen, ist vor dem Hintergrund von Solingen und Mölln, dem unglaublich „erhöhten Sicherheitsrisiko“ für Fremde im eigenen Land, heuchlerisch.