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Kann Belgrad London erpressen?

■ Auch britische Presse kritisiert Lord Owens Bosnien-Politik

Genf (taz) – Ermutigt durch Veröffentlichungen auf dem Kontinent, kritisieren jetzt auch führende Londoner Zeitungen den britischen Bosnien-Vermittler der EG, Lord David Owen. „Frankensteins Monster entkommt seinen Ketten“ titelte die Londoner Times in ihrer gestrigen Ausgabe und verglich die von „Baron Dr. Owen“ angestrebte Dreiteilung Bosniens mit dem Monster, das der Baron und Arzt Viktor Frankenstein in der 1818 verfaßten Geschichte von Mary Shelley in der Rhonestadt erschaffen hatte. Die Autorin der Times-Geschichte ist die diplomatische Korrespondentin Eve-Ann Prentice, das erste britische Opfer von Owens Informationspolitik.

Nachdem Prentice letzte Woche die Bemerkung von Owen-Sprecher Mills druckte, die bosnischen Muslime hätten nur noch die Wahl, „jetzt zu verhandeln oder zu sterben“, ließ der Lord sie auf den Index setzen. Konkret heißt das, daß Mills nicht mehr mit der Journalistin sprechen darf. Aber auch der Independent führt nach Einschätzung der BBC „seit einigen Tagen eine Kampagne zur Veränderung der britischen Balkanpolitik“: Unter dem Aufmacherkommentar „Sarajevos Leiden ist Großbritanniens Schande“ veröffentlichte das Londoner Blatt auf Seite 1 ein großformatiges Foto eines in den Straßen der bosnischen Hauptstadt zusammengebrochenen alten Mannes. Am Sonntag will auch der Observer eine Owen-kritische Geschichte veröffentlichen.

Der Guardian, dessen diplomatische Korrespondentin Hella Pick bisher eher unkritisch die offizielle Linie von Owen und seinem Co- Vermittler Stoltenberg wiedergab, hielt sich dagegen auffällig zurück. Dabei sitzt das Blatt auf hochbrisantem Material, das möglicherweise die auch von EG-Diplomaten kritisierte Appeasement-Politik von Major, Hurd und Owen gegenüber dem Regime in der serbischen Hauptstadt Belgrad erklärten könnte. Nach diesen Unterlagen, über deren Veröffentlichung der Guardian wegen der strikten britischen Pressegesetze noch mit seinen Anwälten berät, soll die Tory-Party bis hin zu Major in einen riesigen Parteispendenskandal verwickelt sein. Die illegalen Gelder – die Rede ist von mehreren Millionen britischer Pfund – stammen angeblich aus Drogengeschäften, die über Serbien und das serbisch besetzte Kosovo abgewickelt wurden. Gewaschen werden sollen die schmutzigen Drogengelder durch britische Banken mit Sitz in Zypern – dieselben Banken, auf denen die Regierung Milošević ihre Auslandsguthaben deponiert hatte.

In Genf wird immer offener der Verdacht geäußert, daß London von Belgrad mit den Beweisen für diesen Skandal zu seiner auffälligen Rücksichtnahme gegenüber der serbischen Seite im Bosnienkrieg erpreßt wird. Denn die seit der EG-internen Anerkennungskontroverse häufig zu hörende Erklärung, London wolle Serbien als Gegengewicht zu einem so wahrgenommenen deutschen Einfluß in der Region erhalten und sehe im Milošević-Regime einen Stabilitätsfaktor im in Kleinstaaten zerfallenden Südosteuropa, ist vielen Beobachtern inzwischen nicht mehr ausreichend. Auch das britische Außenamt, so kritische Stimmen in Genf, müsse längst begriffen haben, daß das völlig marode Serbien diese Rolle gar nicht spielen könne – und daß nach der jetzt in Genf anstehenden Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas das Ende Kroatiens in seinen jetzigen Grenzen, die Aufteilung des Kosovo zwischen Serbien und Albanien, sowie die Vierteilung Mazedoniens wie Dominosteine folgen werden. Andreas Zumach

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