Narmada: Spiel mit dem Leben

Indische Regierung verhindert den Freitod von Gegnern des Narmada-Projekts Kritik an der Führerin der Anti-Narmada-Bewegung  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Im letzten Augenblick konnte das Schlimmste verhindert werden. Frustriert über die Hinhaltetaktik der Regierung hatten Mitglieder der Narmada-Organisation (NBA) geschworen, sich am 6. August, dem Jahrestag der Atombombe von Hiroshima, in einem „Jal Samarpan“ – dem rituellen Selbstopfer durch Ertrinken – das Leben zu nehmen.

Daß vor allem die Leiterin des NBA, Medha Patkar, diese Drohung nicht nur als taktisches Druckmittel verstand, hatte sich bereits im Juni gezeigt, als sie in Bombay in einen unbefristeten Hungerstreik getreten war. Erst als Patkars Gesundheitszustand ein kritisches Stadium erreicht hatte, war die Regierung zu Verhandlungen mit dem NBA bereit gewesen. Sie führten dazu, daß der Bauherr bereit war, eine paritätisch besetzte Untersuchungskommission einzustezen, die alle umstrittenen Aspekte – die Umsiedlung Tausender von Talbewohnern, die ökologischen Folgen der Überschwemmung großer Waldgebiete, die Realisierbarkeit der ambitiösen Bewässerungsanlagen – einer erneuten Prüfung unterziehen sollte.

Doch die Regierung hielt sich nicht an den gesetzten Zeitrahmen zur Konstitution dieser Kommission, und als sie endlich eingesetzt wurde, fehlte ihr das vereinbarte umfassende Mandat. Darauf verkündete Medha Patkar ihren Entschluß, für das „große Anliegen eines Baustopps das kleine Opfer“ ihres Lebens zu bringen. Die Regierung versuchte der Selbstmord- Aktion zuvorzukommen. Sie riegelte den Zugang zum Schauplatz, dem bereits halb überschwemmten Dorf Manibeli, ab und ließ zahlreiche NBA-Aktivisten verhaften. Doch Medha Patkar, die Symbolfigur der Bewegung, und zwanzig ihrer Anhänger waren bereits untergetaucht. Im letzten Augenblick erklärte sich der Minister für Wasserressourcen, V. C. Shukla, schließlich bereit, der Kommission größere Kompetenzen zu geben, und der NBA blies die dramatische Aktion ab, die darin bestanden hätte, in die Flutwasser des Narmada zu waten.

Ob die Politik von Hungerstreiks und Selbstmorddrohungen die Protestbewegung weiterbringt, ist allerdings fraglich. Die Regierung, die noch stärker hinter dem Projekt steht, seitdem sich die Weltbank als Kreditgeberin zurückgezogen hat, wird weiterhin versuchen, sie politisch zu neutralisieren. Sie versucht, Zeit zu gewinnen und den Gegner zu zwingen, den Einsatz ständig zu erhöhen – bis er schließlich seine Glaubwürdigkeit verliert. Abgesehen von der ethischen Infragestellung eines aktiven Freitods nimmt innerhalb der zahlreichen Anti-Narmada- Gruppen auch die Zahl jener Stimmen zu, welche den Maximalismus von Medha Patkar kritisieren und für ein flexibleres Vorgehen eintreten. Dies gilt besonders dann, wenn man als Gegner eine Regierung hat, die wenn nicht mit allen, so doch mit vielen Wassern ähnlicher Protestbewegungen gewaschen ist.