Wahlliste vom Adressenhändler

■ Der Datenschutz und die Kammerwahlen / Wahlleiter: "Ein Riesenproblem"

Wahlliste vom Adressenhändler

Der Datenschutz und die Kammerwahlen / Wahlleiter: „Ein Riesenproblem“

Volker Hannemann ist einiges gewöhnt. Gegen allerhand Boykott hat der Leiter des Statistischen Landesamtes vor Jahren die Bremer Volkszählung über die Bühne gebracht, und auch die Bremer Bürgerschafts- und Bundestagswahlen hat er immer ohne größere Beanstandungen durchgeführt. Doch jetzt hat Volker Hannemann „ein Riesenproblem“, wie er freimütig gesteht: Bis zum 24. November nämlich muß das Wählerverzeichnis für die Wahlen zu den beiden Bremer Arbeitnehmerkammern stehen, „doch bis heute sind mir erst ca. zwei Drittel der rund 285.000 Wahlberechtigten bekannt“, so Wahlleiter Hannemann.

Wie das? Überweist doch das Bremer Finanzamt schön ordentlich jeden Monat den Kammern die Zwangsabgabe in Höhe von 0,15 Prozent des Bruttolohns aller abhängig Beschäftigten im Land Bremen. Warum kann das Finanzamt dann nicht einfach eine Mitgliederliste der Kammern als Wahlliste ausdrucken? „Das hätten wir gerne“, stöhnt Hannemann, „aber mit dem Argument des Datenschutzes wird es uns bisher verwehrt.“ Da auch die Kammern selber „aus Datenschutzgründen“ keine eigenen Mitgliederverzeichnisse haben, blieb Hannemann nichts anderes übrig, als alle Bremer Arbeitgeber anzuschreiben und sie zur Mitteilung aller ihrer Beschäftigten mit Namen und Anschrift zu bitten.

Doch das klingt einfacher als es ist. Schon bei der Beschaffung der Adressen fängt das Problem an. Das Finanzamt nämlich — man ahnt es schon — darf sie „aus Datenschutzgründen“ nicht herausrücken. Also griff Hannemann auf die Unterlagen der letzten Kammerwahlen vor sechs Jahren zurück und ergänzte diese Arbeitgeberadressen mit einer Liste, die er für 1.000 Mark bei der Düsseldorfer „German Business Data Media“ kaufte. „Am Ende hatten wir rund 23.000 Adressen, die wir alle angeschrieben haben“, erinnert sich Hannemann. Doch dummerweise antworteten davon lediglich 6.000 — teils, um tatsächlich Namen und Adressen ihrer Beschäftigten zu nennen, teils aber auch nur, um mitzuteilen, daß sie gar keine Arbeitgeber seien. Auf weit über 10.000 Briefe kam jedoch überhaupt keine Antwort.

Rund 20 MitarbeiterInnen des Statistischen Landesamtes sind nun ununterbrochen dabei, herauszufinden, ob sich hinter einer dieser Adressen nicht doch noch ein richtiges Unternehmen mit Beschäftigten verbirgt. Außerdem schreibt Hannemann dieser Tage rund 10.000 Adressen ein zweites Mal an, und bittet um Nennung der Beschäftigten. Die Drohung mit einem Bußgeld von 20.000 Mark läuft dabei allerdings ins Leere, kann doch der Kammer-Wahlleiter — Datenschutz sei Dank — gar keinem Arbeitgeber nachweisen, daß er einer ist. Hannemann: „Ich bin auf Goodwill angewiesen.“

Bereits am Ende ihres „Goodwill“ ist unterdessen einer der Kandidaten für die Angestelltenkammer: „Es ist ein Stück aus dem Tollhaus“, kommentierte der DAG-Bezirksvorsitzende Rolf Reimers - wenn auch nicht ohne eigene (grammatikalische) Probleme — das Wahllisten-Desaster, „das jetzt angewandte Verfahren führt zu einem Zweiklassenwahlrecht, nämlich die, die wählen dürfen, und die, die nicht wählen können.“ Besonders unangenehm ist das der DAG, weil sie in allen Wahlausschüssen der Angestelltenkammer die Mehrheit hat: Nachdem die Konkurrenzorganisation HBV eine Frist verschlafen hatte, konnte die DAG-Minderheit in der Kammer jeweils drei der fünf Ausschuß-Posten besetzen.

Besonders demokratisch sind die Kammerwahlen allerdings sowieso nicht — schließlich dürfen nur Gewerkschaftslisten kandidieren. Und wenn am Ende trotz des unermüdlichen Einsatzes der MitarbeiterInnen des Statistischen Landesamtes doch noch ein Wahlberechtigter auf der Liste fehlt, „dann ist das hinterher kein Anfechtungsgrund für die Wahl“, zitiert Hannemann das Gesetz. Dirk Asendorpf