Nachschlag

■ Odyssee zu Monteverdi in Rheinsberg: Eine Klage

Es hätte so schön werden können. Der Vorhang fliegt auf, hurtig humpelnd schreitet eine Pavane zum Prolog der Allegorie L'humana fragilitá, der menschlichen Gebrechlichkeit, die zur Klage anhebt: „Eine sterbliche Sache bin ich, menschlicher Natur: alles bringt mich durcheinander, ein Sonnenstrahl schlägt mich nieder; von der Zeit, die mich schuf, bekriegt.“ Ach, Monteverdis „Il Ritorno d'Ulisse in Patria“! Herrlich hinlamentierte Klagegesänge, melodisch fließende, epische Berichte, garstige oder wohlgesetzte Rede und Widerrede. Verzweiflung, Wille, Sehnsucht, Hoffnung, alles was Oper zu bieten hat.

Es hätte wirklich schön werden können, wenn nicht den Rezensenten das gleiche Schicksal (oh, ja!) getroffen hätte wie einst den göttlichen Helden Odysseus. Beider gemeinsames Problem: ritorno in patria, die Rückkehr ins Vaterland, oder angemessener formuliert: die Rückkehr ins eigene Bett. (Zur Erinnerung: Penelope anerkennt Odysseus im Gewand des Bettlers ja erst als ihren Gatten, als er dezidierte Auskunft über die Bettstatt geben kann: Daß es ein mächtiger Baum ist, der – Achtung Symbol! – tief in der Erde wurzelnd, aber abgesägt zum Wonnelager verschnitzt wurde. Doch das nur am Rande.)

Fassen wir uns kurz. Da von der Kammeroper zu Rheinsberg der Ruf ausstrahlte, hübsche Produktionen in reizender Umgebung – nämlich im Schloßgarten, des Nachts, unter freiem Himmel – zu präsentieren, wollten wir die Haltbarkeit der Vorschußlorbeeren über das Premierendatum hinaus prüfen. Eine Gemeinschaft von Gefährten war bald gefunden, die Karten gesichert, der Picknickkorb gepackt. Da kam die unheilvolle Nachricht von dem Zusammenbruch des Fahrzeugs (entspricht ungefähr Odysseus' Schiffbruch). Plötzlich entrückte das Schloß Rheinsberg weiter als die hell schimmernde Feste Troja an der illyrischen Küste. Der schnell einberufene Krisenstab erkannte folgende Möglichkeiten: 1. mit der Bundesbahn anzureisen. Die letzte Bahn wäre drei Stunden (Odysseus: zehn Jahre) zu früh angekommen, ein Zurück hätte es nicht gegeben. 2. Mit der S-Bahn bis Oranienburg. Problem: die restlichen 30 km. 2a. Mit dem Fahrrad? Unbekanntes Gelände bei Nacht, Aprilwetter – sollten wir verzweifeln wie Odysseus beim Versuch, gemeinsam mit der Nymphe Kalypso ein Floß zu bauen, um das Ägäische Meer zur durchkreuzen? 2b. Mit dem Taxi? Ithaka war stets eines der ärmsten Königreiche der Vorantike, der Schatzkanzler hätte es aus Etatgründen nicht zugelassen. 2c. Trampen? Oh Graus, das Meer ist weit und leer. Gegen den Unwillen der Verkehrsgötter (damals Poseidon, heute die Bundesbahn) ist also eine Rückkehr nicht möglich und damit auch die Anreise ausgeschlossen.

Die Oper auf dem Lande ist nichts für Weltreisende ohne Schiff und Besatzung: all die herrlichen Gesänge. Es wäre so schön gewesen. Frank Hilberg