Die Hände am Ofen

In der Erdkruste sind riesige Mengen an Energie gespeichert / Wir müssen nur lernen, sie in eine nutzbare Form umzuwandeln / Forschungsprojekte gibt es auch in der Bundesrepublik  ■ Von Volker Bormann

Die Hölle hat Aussicht auf eine Klimaanlage. Sie wird das Innere nicht sonderlich kühlen, uns aber könnten von der Abwärme die Hände glühen, und Strom hätten wir auch. Die Erdkruste, die uns von der Hölle trennt, speichert Energie aus Jahrmillionen. Wenn wir da heran könnten, hätten wir genug für Jahrtausende.

Ohne die Dämmkraft der Erdkruste bekämen wir auf Schritt und Tritt heiße Sohlen. Das Erdinnere brodelt mit mehreren tausend Grad, von denen wir an der Oberfläche im Durchschnitt noch gut 14 Grad mitbekommen. Was dazwischen liegt, schluckt die Kruste. Trotzdem verschenkt sie jährlich etwa viermal soviel Energie an den Weltraum, wie 1991 weltweit durch Kraftwerke erzeugt wurde.

Erdwärme, oder fachlich „geothermische Energie“, kann der Mensch bislang nur nutzen, wenn sich Wasser im Untergrund erhitzt und von selbst oder nach einer Bohrung an die Oberfläche tritt. Diese Gelegenheit bietet sich jedoch meist nur in Gegenden, wo die mächtigen Platten der Erdoberfläche aneinandergrenzen, denn dort entsteht aus aufsteigendem flüssigen Gestein die Erdkruste. Vulkane und heiße Quellen zeugen von der Glut, die dabei aus der Tiefe quillt: In der Toskana, rund 100 Kilometer südlich von Pisa, treibt heißer Wasserdampf aus der Erde schon seit Beginn unseres Jahrhunderts Kraftwerksturbinen. Heute haben sie eine Gesamtleistung von 430 Megawatt. Auch in Island kommt Strom aus der Erde, in Griechenland, der Türkei, Mexiko, El Salvador, Neuseeland, Japan, Kenia, den USA, auf den Philippinen oder in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Und in Deutschland.

Seit der Vereinigung ist die Diskussion über die Nutzung der Erdwärme bei uns lebhafter geworden, denn in der DDR wurde daran erheblich mehr geforscht als im Westen. In Prenzlau, Neubrandenburg und Waren sind seit 1984 Heiz-Zentralen in Betrieb, die aus der Erde gewärmt werden. Im Westen gibt es vorwiegend Thermalbäder, etwa in Bad Füssing oder Bad Urach. Dort bestehen auch gute Chancen, mit Geld von der EG ein Verfahren zu erproben, dessen Kürzel HDR lautet. Das bedeutet Hot Dry Rock – heißer, trockener Fels. Damit wird es möglich, die Erdwärme zu nutzen, unabhängig davon, ob aus den heißen Stellen von sich aus Wasser tritt.

Die Methode besteht darin, heiße, trockene Gesteinsschichten an zwei Stellen anzubohren und durch Wasserinjektion Risse zu erzeugen, die die Bohrlöcher miteinander verbinden. Wasser, das in eines der Löcher gepumpt würde, müßte sich auf dem Weg durch den Fels erhitzen und die Wärme beim Austritt aus dem zweiten Bohrloch mitbringen. Da heißes Gestein fast überall in der Tiefe zu finden ist, ließe sich die Höllenhitze im Erdinnern stärker nutzen als bisher. Allerdings gibt es noch keinen Prototypen für ein HDR-Kraftwerk.

In Urach wurde probeweise bis in knapp viereinhalb Kilometer Tiefe gebohrt. Der Meißel stieß in die Magmakammer eines erloschenen Vulkans, in der es 170 Grad heiß ist. Fürs erste eine gute Voraussetzung. Bis zum HDR- Kraftwerk muß aber noch viel geklärt werden: Wird sich genügend Fläche für den Wärmetausch in der Tiefe finden oder schaffen lassen? Ein geothermisches Kraftwerk mit 50 bis 100 Megawatt Wärmeleistung benötigt nach einer Modellrechnung fünf bis zehn Quadratkilometer Tauschfläche im heißen Untergrund. Jede Sekunde müßten 75 Liter Heißwasser gefördert werden. Dabei dürfen langfristig nicht mehr als zehn Liter Wasser je Sekunde in den Klüften des Gesteins verlorengehen. Außerdem muß sich der nötige Wasserdruck in Grenzen halten. Zum einen ist Pumpen teuer, zum anderen könnte hoher Druck das Gestein unkontrolliert auseinandertreiben und es mehr und mehr Wasser schlucken lassen.

Zu prüfen ist auch, welche Salze das heiße Wasser aus dem Fels laugt und ob sie gefährlich sind, aggressiv-ätzend oder beim Abkühlen im Kraftwerk den Rohren unmäßig zusetzen. Alle diese Faktoren bestimmen am Ende, wieviel das Kraftwerk und sein Betrieb kosten wird. Teuer sind vor allem die Bohrungen. In Urach wurde deshalb probiert, mit einem Bohrloch auszukommen, durch das zwei Rohre führen. Das begrenzte allerdings wieder die Fläche für den Wärmetausch. Die größeren Chancen für die Wirtschaftlichkeit von Erdwärme bestehen in den neuen Bundesländern, weil dort mehr Fernwärmeleitungen liegen. Hier und da könnte die Geothermie einen bedeutenden Teil der Energieversorgung übernehmen.

Der Osten hat inzwischen auch am meisten von der Förderung des Bundesforschungsministeriums. Sechs Millionen Mark sind im laufenden Haushaltsplan für Geothermie vorgesehen. Verglichen mit den 97 Millionen Mark für die Erforschung von Solarstrom ein Klacks. Insgesamt stehen im laufenden Jahr für die Suche nach erneuerbaren Energieformen und ihre Entwicklung knapp 286 Millionen Mark bereit, aber noch einmal soviel kassiert allein die Atomlobby für die Kernforschung und die aussichtslose Suche nach Endlagern für den radioaktiven Abfall. Schlechter Trost: Alle Etats sinken, aber für die Geothermie sind im nächsten Haushaltsplan zarte 2,9 Millionen Mark Fördermittel mehr vorgesehen.

Unbegründet ist nach Meinung der Geowissenschaftler die Sorge, bei der Abkühlung heißer Gesteinsschichten könnten Spannungen und daraus Erdbeben entstehen. „Wir wären froh, wenn es uns öfter gelänge, beim Zerklüften des Untergrunds solche Kleinstbeben hervorzurufen“, erklärt Dr. Ernst Huenges vom Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung in Hannover. „Die Erschütterung würde uns viel über die Schichten unter uns verraten“, führt er fort. Auch Fritz Rummel, Professor für Geophysik an der Ruhruniversität in Bochum, ist sicher, daß geothermische Kraftwerke die Erde nicht zum Beben bringen. Für Rummel zählt außerdem, daß Erdwärme eine saubere Energieform ist: Sie belastet im Gegensatz zur Verbrennung von Kohle und Erdöl die Atmosphäre nicht mit Kohlendioxid, verstärkt daher auch den Treibhauseffekt nicht. Noch sind Kohle und Öl aber harte Konkurrenten: Ein Liter Öl hat hundertmal soviel Energie wie ein Liter 150 Grad heißes Wasser. Bis HDR-Kraftwerke wirtschaftlich mithalten können, ist viel zu entwickeln. Oder, wie Ernst Huenges es ausdrückt: „Wir müssen lernen, die Hände an den Ofen zu legen.“