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Verkehrsplaner hinterm Lenkrad

Fehleinschätzungen über den Bürgerwillen führen zu einer Verkehrspolitik, die keiner mehr will / Gerade Politiker und Journalisten ignorant  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Alle reden von Mobilität, aber die Bedeutung des Autos wird von BürgerInnen ebenso wie von PolitikerInnen und VerkehrsplanerInnen reichlich überschätzt. Eine Untersuchung, die das Münchner Forschungsinstitut Socialdata im Ruhrgebiet durchführte, ergab, daß die befragten BürgerInnen die tägliche Nutzungsdauer des Automobils auf fast zwei Stunden schätzen. 27 Prozent der Fahrten, so schätzen sie, seien länger als fünfzig Kilometer. Kein Wunder, daß sie glauben, nicht auf das Auto verzichten zu können.

In Wirklichkeit sind nicht 27, sondern nur drei Prozent der Autofahrten länger als 50 Kilometer. In knapp drei Viertel der Fälle wird das Auto dagegen für Wege unter zehn Kilometer aus der Garage geholt. 44 Minuten täglich wird das Auto genutzt.

Aber zugleich sehen die meisten auch durchaus die Nachteile des Autoverkehrs. Wenn sie nach den größten Problemen in ihrer Kommune gefragt werden, nennen drei Viertel der Befragten den Verkehr an erster Stelle. Die Auffassung vieler PolitikerInnen, mehr Straßen brächten einen besseren Verkehrsfluß und damit eine Entlastung, teilen die BürgerInnen nicht: Über die Hälfte glaubt, daß weiterer Straßenbau die Lage noch verschlechtert.

Stattdessen wollen neun von zehn BewohnerInnen des Ruhrgebietes eine Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs, des Fahrrad- und des Fußgängerverkehrs, notfalls auch zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs. Merkwürdig nur, daß diese Einschätzung von PolitikerInnen, JournalistInnen und VerkehrsplanerInnen offensichtlich nicht wahrgenommen wird. Diese vermuten, 63 (statt in Wirklichkeit acht) Prozent der BürgerInnen würden sich im Konfliktfall lieber für eine Förderung des Autoverkehrs entscheiden. Die daraus resultierende Verkehrsplanung gefällt zwar niemandem, aber die PolitikerInnen glauben, dem Wahlvolk damit zu Willen zu sein.

Daß gerade PolitikerInnen und VerkehrsplanerInnen eine besonders Auto-zentrierte Weltsicht haben, zeigt auch die Analyse der Verkehrsmittelwahl in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. 42 Prozent aller BürgerInnen fahren selbst Auto; 45 Prozent reisen zu Fuß, per Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr (der Rest sind Mitfahrer im Auto). Nur bei einer Bevölkerungsgruppe übersteigt der Anteil der Kfz-Lenker die 50-Prozent-Marke, nämlich bei den männlichen Erwerbstätigen. Diese Gruppe stellt zwar nur ein gutes Viertel der Gesamtbevölkerung, aber den weitaus größten Teil der verkehrspolitischen EntscheidungsträgerInnen.

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