■ Altan Öymen, Herausgeber der größten türkischen Tages- zeitung ,Milliyet‘, zur Minderheitenpolitik in BRD und Türkei
: Immer erinnert ihr uns an die Kurden!

taz: Ist es für Sie vorstellbar, daß in absehbarer Zeit eine türkische Regierung mit den Kurden einen politischen Dialog bis hin zu Gesprächen mit der PKK führt?

Altan Öymen: Die PKK ist nach offizieller Einschätzung eine Terrorgruppe, mit der man nicht verhandeln kann.

Das hat die israelische Regierung gegenüber der PLO auch jahrzehntelang gesagt und demnächst werden sie trotzdem mit ihr verhandeln.

Ich weiß nicht, wie es in 20 Jahren in der Türkei aussehen wird, aber die PKK ist mit der PLO schlecht zu vergleichen. Die Palästinenser, und als ihre politische Vertreter die PLO, sind ein Volk, bei dem klar ist, daß alle für einen eigenen Staat kämpfen. Bei den Kurden in der Türkei oder Türken mit kurdischer Abstammung ist es sehr fraglich, ob sie alle einen kurdischen Staat wollen.

Man fragt sie aber erst gar nicht.

Wen soll man denn fragen? Das ist ja bereits ein Charakteristikum des Problems. Ein großer Teil der Menschen kurdischer Abstammung lebt in Istanbul, in Izmir, in Adana und anderen Städten des Westens. Wenn man ein Referendum machen wollte, dürfen die dann mitstimmen? Es gibt viele Kurden, für die ihre Abstammung keine Rolle spielt und die sich als türkische Staatsangehörige fühlen. Wer bestimmt, wer Kurde ist und wer nicht? Jeder kann heutzutage von sich sagen, er sei Kurde.

Dem ist aber erst in jüngster Zeit so.

Ja, früher gab es eine andere Politik, aber Özal hat bereits vor einigen Jahren erklärt, er habe kurdische Vorfahren und Demirel hat bei seinem Amtsantritt zugesagt, die kurdische Realität werde von seiner Regierung voll anerkannt.

Kam diese Erkenntnis nicht ein bißchen spät? Hätte durch eine rechtzeitige Anerkennung der kurdischen Minderheit und entsprechende kulturelle Zugeständnisse der jetzige Krieg nicht vermieden werden können?

Das kann man nicht ohne weiteres sagen. In Spanien sind die meisten Wünsche der Basken erfüllt worden, doch der Terrorismus der ETA wurde deshalb nicht beendet. Es ist schwieriger. Die Wünsche der Kurden sind ja auch sehr unterschiedlich. Ich kenne viele Kurden, die keinen unabhängigen Staat wollen. Sie wollen ihre Sprache sprechen, vielleicht eine Berücksichtigung der Sprache in der Schule, aber keine Trennung von der Türkei. Alle Kurden haben volle politische Rechte – sie wählen und werden gewählt. Die kommunalen Ämter in den kurdisch bewohnten Gebieten sind alle mit Kurden besetzt und es gibt natürlich Kurden im nationalen Parlament. Wenn die Ausnahmegesetze aus der Zeit der Militärdiktatur und die militärische und polizeiliche Praxis, die in dieser Zeit begann, im Südosten des Landes abgeschafft wird, meinen die meisten, sei die Sache erledigt.

Es gibt viele gemischte Ehen oder sonstige enge Beziehungen. Der Mann meiner Tochter kommt aus Van (Stadt an der Grenze zum Iran). Er hat nie darüber nachgedacht, ob er Türke oder Kurde ist. Meine Familie kommt aus der Schwarzmeer-Region und gehört zu den Larsen. Für mich hat das nie eine Rolle gespielt. Das gilt für viele Kurden, das wird im Ausland immer übersehen. Ich glaube, unter den angeblich zehn bis 12 Millionen Kurden in der Türkei gibt es höchstens zehn Prozent, die besser kurdisch als türkisch sprechen, und von sich selbst sagen, sie seien Kurden und für einen unabhängigen kurdischen Staat.

Warum überlegt man nicht, den Zentralstaat Türkei föderalistischer zu organisieren und statt der jetzigen Provinzen echte Bundesländer einzuführen?

Die Türkei ist historisch gesehen ein Zentralstaat und hat ihren Verwaltungsaufbau seit Beginn des Jahrhunderts an Frankreich orientiert.

Vielleicht wäre es den Bruch mit der Geschichte wert, wenn dadurch der Krieg beendet werden kann? Auf Dauer kann die türkische Regierung sich nicht auf die Position stellen, sie habe lediglich ein Terrorismusproblem.

Hätte Bonn mit der RAF verhandelt, wenn die statt zweitausend zwanzigtausend Unterstützer gehabt hätte? In Deutschland ist es leicht, über Minderheitenprobleme in der Türkei zu diskutieren!

Die Bundesrepublik ist ja gerade dabei, sich ein Minderheitenproblem zu schaffen.

In der Türkei haben die demokratischen Institutionen sich in den letzten Jahren bewährt. Auch der Umgang mit den Kurden ändert sich und das Problem wird schrittweise angegangen. Wenn ich nach Deutschland komme, um hier über die Situation der Türken zu diskutieren, werde ich nach jedem zweiten Satz an die Kurden in der Türkei erinnert. Dazu kann ich dann nur sagen: wenn die Türken hier die Rechte hätten, die den Kurden in der Türkei gebilligt werden, wäre das Problem für die Türken in Deutschland gelöst. Warum haben die Menschen türkischer Abstammung kein Wahlrecht, warum dürfen sie nicht gewählt werden? Die Bundesrepublik tut nichts für ihre Minderheiten.

Haben die Morde in Mölln und Solingen das Deutschlandbild in der Türkei sehr verändert?

Die Menschen in der Türkei haben traditionell ein gutes Verhältnis zu den Deutschen. Das wurde durch die Einwanderung seit 1963 verstärkt. Man fühlt sich wie Verwandte. Und auch Leute, die aus Deutschland zurückkamen, erinnerten sich hauptsächlich an die guten Seiten ihres Aufenthaltes. Das spielt auch jetzt noch eine entscheidende Rolle. Das Deutschlandbild ist differenziert geblieben. Es gibt hier keine generelle Verurteilung der Deutschen, wie man sie in Frankreich, England oder auch in den USA findet. Obwohl die beiden Ereignisse ein großer Schock waren. Und auch in der Türkei fragt man sich, warum kommt es gerade in Deutschland zu solchen Brandstiftungen?

Was wird in der türkischen Öffentlichkeit als Maßnahme gegen den Rassismus in Deutschland, gegen den Haß auf die Türken diskutiert? Ist die doppelte Staatsbürgerschaft Ihrer Meinung nach eine sinnvolle Sache?

Eine der notwendigen Maßnahmen ist sicher die Zulassung einer doppelten Staatsbürgerschaft. Eine solche Maßnahme könnte die Situation in Deutschland etwas normalisieren. Es kann ja auf die Dauer nicht so sein, daß Menschen, die schon bald 30 Jahre hier leben, immer noch vom politischen Prozeß ausgeschlossen sind, nur Pflichten und keine Rechte haben. Weil die Türken in Deutschland immer mit einem Doppelstandard konfrontiert waren, weil sie nie wußten, ob sie nun bleiben dürfen oder hinausgeworfen werden sollen, wäre es sinnvoll, jetzt eine doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen. Die Menschen müssen sich sicher fühlen können. Man kann gerade nach den letzten Ereignissen ja kaum erwarten, daß Türken ihre Staatsbürgerschaft wechseln und damit die Sicherheit einer möglichen Rückkehr aufgeben.

Setzt die türkische Regierung sich denn für eine solche Regelung gegenüber ihren deutschen Partnern ein?

Als Bundeskanzler Kohl in Ankara war, ist darüber gesprochen worden und Kohl hat ja sogar Zugeständnisse gemacht. Aber letztlich geht es um ein deutsches Problem und nicht um ein türkisches. Theoretisch könnten alle Türken in die Türkei zurückkehren. Was passiert dann? Die Rassisten würden sich andere Opfer suchen. Interview: Jürgen Gottschlich