■ Serie Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes, Teil 8
: Deutschland in Mölln

Mölln, Mühlenstraße, Sommer 1993. – Das Haus Nr. 9, in dem im November 1992 Bahide Arslan, Yeliz Arslan und Ayshe Yilmaz verbrannten, ist eingerüstet. Die Tür vernagelt, die Fensterrahmen verkohlt, der Putz weggebrochen. Ein Metallgitter schützt vor „unbefugtem Betreten“. An den Stäben hängt ein Spruchband: „Nie wieder Faschismus!“ Bei der Haustür liegen Blumen, frische, auch angedorrte.

1. Szene, 15.25 Uhr: Eine Frau, um die 40, fein zurechtgemacht, schlendert am Haus vorbei. Neben ihr gehen zwei Jugendliche. Vielleicht ihre Kinder. Die Frau sieht das Spruchband, liest laut den Text vor. Dann wendet sie den gutfrisierten Kopf und sagt: „Nie wieder Türken!“ Sie lacht.

2. Szene, 15.33 Uhr: Eine Frau, um die 40, gar nicht feingemacht, geht auf das Haus zu. Neben ihr eine Jugendliche. Vielleicht ihre Tochter. Die Frau drückt dem Mädchen einen Strauß in die Hand. Das Mädchen schlängelt sich an dem Eisengitter vorbei, legt die Blumen vor die Haustür. „Damit so was nie wieder passiert“, sagt die Frau. Sie stockt.

Zehn Minuten Deutschland pur.

Wer seine Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie ewig zu wiederholen. Das Haus der türkischen Familie Arslan in Mölln gehört zu Deutschlands jüngster Geschichte: Menschenjagd, Mordbrennerei. Traumatisierte Opfer, jämmerliche Täter. Fremdenhaß in Nadelstreifen und in Springerstiefeln. – Und die, die es anders wollen.

Nach dem Anschlag gründete sich in Mölln der Verein „Miteinander leben“. Inzwischen hat er 120 Mitglieder, darunter rund 30 TürkInnen. Praktische Lebenshilfe will er anbieten und kulturellen Austausch unterstützen. Dazu braucht es einen Ort. Der Verein will das verbrannte Haus – genauer, das Heimatmuseum, das direkt dahinterliegt – zu einer Begegnungsstätte umwidmen. An die Barbarei der Vergangenheit erinnern und daneben ein Zeichen der Verständigung setzen. Für die Zukunft.

Erinnerung braucht Hilfe. Das Mitleid der Deutschen wächst prozentual mit den Einschaltquoten. Als das Entsetzen noch frisch und die Schlagzeilen voll waren, wurden 250.000 Mark für die Opfer in Mölln gespendet. Das DRK verteilte das Geld unter den Geschädigten. Dann kam Cap Anamur. „Drei Millionen Mark Starthilfe“ versprach das Komitee: Für die Sanierung des zerstörten Hauses, für ein neues Heimatmuseum und für den Umbau des alten zu einer Begegnungsstätte.

Oft ist die Zerfallszeit von Erinnerungen äußerst kurz. Als Mölln aus der Berichterstattung verschwand, verschwand auch Cap Anamur. Zu den drei Millionen gab es nur einen Kommentar. Komiteekopf Neudeck: „Ich habe gedacht, wenn wir sagen, wir haben soviel Geld, dann kommen auch die anderen.“ So verläßt sich einer auf den anderen.

Die Begegnungsstätte soll rund 1,7 Millionen Mark kosten.

Auf dem entsprechenden Treuhandkonto sind 11.511,36 Mark eingegangen. Die Stadt hat kein Geld, sagt der Bürgermeister. Bund und Land fühlen sich nicht in der Pflicht. Der Staat baut sich andere Denkmäler.

Als der Lohgerber G. Burmester um 1860 das Haus Nummer 9 in der Mühlenstraße baute, war es ein hübsches Heim, die Werkstatt hintendran. Jetzt riecht es drinnen nach Schimmel, Lehm und Stroh bröseln aus den Gefachen, wo einmal die Treppe war, ist nur ein verkohlter Schacht. Das Haus wird von einer Wohnungsbaugesellschaft wieder hergerichtet. (Das in Solingen, in dem im Juni fünf TürkInnen verbrannten, wird gerade abgerissen). Im Herbst sollen die Außenarbeiten fertig sein, im Winter die neuen Wohnungen. Und die Begegnungsstätte? Bascha Mika

Morgen: Plaste und Elaste aus Schkopau