Großes Archiv der gültigen Form

Perfekte Biographie zum Thema Frauen & Medien im 20.Jahrhundert: Fotografien von Lee Miller  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Zu sehen ist ein Konvolut von Fotografien, aber was zur Schau gestellt wird, ist eine bürgerliche Biographie dieses Jahrhunderts: Lee Miller, geboren im April 1907 in – man muß das erwähnen – Poughkeepsie, N.Y., und gestorben in Sussex, England, siebzig Jahre später. Es ist die perfekte Biographie zum Thema Frauen & Medien, die vor der Kamera beginnt. Mit neunzehn Jahren wird sie von Condé Nast entdeckt und findet ihr Konterfei im März 1927 auf dem Titel von Vogue. Ihre anschließenden Studien der Schönen Künste in Europa enden vorläufig im Atelier eines Amerikaners, der in Paris unter dem Namen Man Ray firmiert, dessen „student, model and lover“ sie wird, wie der Katalog verrät. So initiiert, wechselt sie auf die Seite der apparativen Kreativität. 1930 hat sie ihr eigenes Atelier in der Rue Victor Considerante. Im gleichen Jahr spielt sie in Cocteaus Film „Le sang d'un poète“.

Eine Karriere der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts: Prominentenportraits, prominente Freunde, Männer in Frankreich, Ägypten und England. Als Fotografin scheint es, ist der Umbruch ihrer Model-Zeit als hybrider Blick an ihr haften geblieben: Sie sucht das Pittoreske, sie baut am Pompösen, sie spielt mit einigen Chiffren der Modernität (der stürzenden Perspektive, schwer entschlüsselbaren Schatten). Schon Anfang der 30er Jahre wird sie von einer New Yorker Galerie ausgestellt. Aber sie etabliert sich nicht als Künstlerin. Sie nimmt die Dinge – die Sujets –, wie sie kommen.

Sie kommen grausam, mit dem Bombenkrieg über England, der Öffnung deutscher Konzentrationslager, Hunger im Nachkriegs- Wien, der Exekution von Laszlo Bardossy in Budapest – Bilder, die sie schießt, bevor geschossen wird. So wird Lee Miller eine Art Margaret Bourke-White der Vogue, die großbürgerliche Künstlerfreundin als Realitätsprinzip in der Welt der Schönen.

Aber ganz gleich, wie schroff sie mit der Wirklichkeit Europas konfrontiert wird, bleibt Lee Miller den Traditionen „künstlerischer“ Fotografie verhaftet, die sie als junge Frau beerbt hat: Die Leiche eines Mannes, den die Bildlegende als „Ermordeten Gefängniswächter (Dachau)“ bezeichnet, könnte unter anderen Bedingungen als surrealistische Fotografie durchgehen (von oben aufs Wasser gesehen, die ertrunkene Figur in der Diagonalen, das Ufergebüsch knapp im Anschnitt); die Bombardierung einer französischen Festung durch die Amerikaner wird als romantischer Fensterblick festgehalten; die Dachkonstruktion der Frankfurter Festhalle nach der Bombardierung nimmt – als schwarzes Netz auf milchigem Grund – die reduktive Melancholie der „subjektiven Fotografie“ der fünfziger Jahre vorweg.

Eine Jahrhunderthälfte in ihren Klischees, jede Begegnung beantwortet mit einem Verweis auf die gültige Form, deren Geltung man mit Blick auf das Werk Millers anfangen muß zu bezweifeln. Lee Millers Fotografien der sechziger Jahre zeigen dann die Garanten jenes Glaubens an das Universelle der Form: Picasso und Miró.

Lee Miller: „An Exhibition of Photographs 1929–1964“.

Amerika Haus, Hardenbergstraße 22–24, Charlottenburg. Bis zum 3.September.

Der Katalog kostet 28 DM.