... das Reich muß neu erstehn

In der Region um Kaliningrad, ehemals Königsberg, forciert die bundesdeutsche Rechte die Re-Germanisierung „Ostpreußens“  ■ Von Anton Maegerle

Laßt unsere rußlanddeutschen Landsleute in Ostpreußen wissen, daß es Glück bedeutet, Deutscher zu sein“, diesen Wahlspruch schreibt sich Dietmar Munier, rechter Verleger aus Kiel, auf seine Fahne. Der Initiator der „Aktion deutsches Königsberg“ ist einer der ersten, der den – im rechten Jargon – „von den Russen besetzten und verwalteten Teil Ostpreußens“ wiederentdeckte. Genauer, Munier entdeckte Trakehnen, den früheren Sitz eines berühmten ostpreußischen Gestütes, heute einer der Siedlungsschwerpunkte von Rußlanddeutschen aus Kasachstan. Gemeinsam mit dem Zollbeamten Helge Redecker gründete der Inhaber des rechtsextremen Kieler Arndt-Verlages flugs eine GmbH, die „Gesellschaft für Siedlungsförderung in Trakehnen“, um im „nördlichen Ostpreußen“ dem „deutschen Blut“ zur Geltung zu verhelfen. Zweck der GmbH, deren Stammkapital 315.000 Mark ausmacht, ist die Errichtung von Siedlungen in „Trakehnen/Ostpreußen“ zur Ansiedlung von Rußlanddeutschen.

Muniers Ansinnen findet Beifall: So bezeichnen die nationalsozialistisch anmutenden Huttenbriefe für Volkstum, Kultur, Wahrheit und Recht mit Sitz in Starnberg den rechten Verleger als jungen „Pionier für Ostpreußen“, den man gern auch großzügig finanziell unterstütze. Und Liesbeth Grolitsch, Vorsitzende des „Freundeskreises Ulrich von Hutten“, liefert gleich den verquasten Hintergrund, warum die Re-Germanisierung „Ostpreußens“ unaufhaltsam voranschreite: „Die Entwicklung in Ostpreußen läßt sich nicht verhindern. Sie gedeiht weiter in einem unaufhaltsamen Drange aus geschichtlichen Dimensionen. Und Geschichte ist nun nicht nur das Ergebnis aus Geographie und Geopolitik, sondern sie ist auch und vor allem – und man mag dies nach gegenwärtiger politischer Doktrin leugnen, so viel man will – ein Ergebnis des Blutes.“

In der Deutschen Stimme, dem Organ der ewiggestrigen NPD, deren Mitglieder in Scharen die Partei verlassen, schreibt Grolitsch: „Die Rußlanddeutschen werden in deutsches Land zurückkehren. Ein bemerkenswerter Vorgang hat sich inzwischen ereignet: Aus Ostpreußen erklingt ein Ruf, der gleichermaßen die Rußlanddeutschen und – das ist besonders bemerkenswert – die Volksseele der Deutschen erreicht hat. Ostpreußen ist wie ein Zauberwort in das Gemüt des nationalen Deutschland gedrungen und hat eine Welle der Zuneigung in Bewegung gesetzt. Die Rußlanddeutschen folgen dem Ruf, nach Ostpreußen zu gehen und das verödete Land wieder aufzubauen und sich eine neue Heimat zu schaffen. Es bedarf der ganzen Hingabe der durch Lebenshärte und Genügsamkeit geprägten Volksgruppe der Rußlanddeutschen, die allein es vermag, den harten Weg der Ursiedler zu bestehen. Ostpreußen und das deutsche Volk werden ihnen einmal für diese neue große Pionierarbeit zu danken haben.“

Die Rechnung scheint aufzugehen. Allein im letzten Jahr sind laut Hugo Wormsbecher, dem Vorsitzenden des Verbandes der Rußlanddeutschen, 9.000 deutschstämmige Russen nach Kaliningrad, unter dem Namen Königsberg ehemals Hauptstadt der deutschen Provinz Ostpreußen, eingewandert. 10.000 sollen nach Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel „in ganz Ostpreußen“ leben. Und das stößt nicht nur bei bundesdeutschen Neonazis auf Begeisterung, auch Wladimir Schirnowskji, Chef der „Liberaldemokratischen Partei Rußlands“, die eng mit der DVU zusammenarbeitet, sprach sich in jüngster Vergangenheit nachhaltig für die Ansiedlung Rußlanddeutscher im ehemaligen „Nordostpreußen“ aus. In den letzten Monaten entwickelte sich die Region um die russische Exklave Kaliningrad zu einem zentralen Schwerpunkt der Propagandaaktivitäten bundesdeutscher Rechtsextremisten jeglicher Couleur. Ewiggestrige und Möchtegern-„Ostpreußen“ bereisen die Region. Und die Deutsche Stimme vertreibt denn auch für 26,80 Mark einen Stadtplan von „Königsberg“ aus dem Jahre 1938. Gefördert und propagiert wird von bundesdeutschen Rechtsextremisten die gezielte Ansiedlung von Deutschstämmigen aus der GUS im „nordöstlichen Ostpreußen“ um Kaliningrad. Gelände wird aufgekauft, der Aufbau von Handwerksbetrieben unterstützt, Häuser werden renoviert, Lebensmittel, Bücher, Kleidung, Saatmaterial und Landwirtschaftsmaschinen aus der Bundesrepublik herangekarrt.

Ziel der ganzen Aktivitäten ist die Re-Germanisierung einer Region, die bis Januar 1991 militärisches Sperrgebiet war. Deutsche „Fach- und Lehrkräfte“ arbeiten hier für einen Hungerlohn freiwillig – der „Sache wegen“ versteht sich. Sie werden „eingeflogen“, um den Rußlanddeutschen deutsche Sprachkenntnisse beizubringen. Die einheimische Bevölkerung vor Ort erblaßt vor Neid angesichts des vermeintlich schnellen Wohlstands der deutschstämmigen Neuankömmlinge.

So wurde unter Muniers Führung am 2. April letzten Jahres der „Rußlanddeutsche Kulturverein Trakehnen“ gegründet. Ein Hilferuf von Munier in den einschlägigen bundesdeutschen Kreisen motivierte 59 Freiwillige, darunter Studenten, Lehrer und Pensionäre, deutschen Schulunterricht in Trakehnen anzubieten. Die überaus positive Resonanz nutzte Muniers Verlegerkollege Ingwert Paulsen von der Husumer Druck- und Verlagsgesellschaft. Prompt gründete er den „Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Ostpreußen“, um nun seinerseits deutsche Lehrer ins nördliche „Ostpreußen“ zu verschicken. Desweiteren finanziert man Schulbücher und die Renovierung von Schulräumen. Das zuständige Finanzamt bescheinigte dem Verein am 26.8.1992 er sei gemeinnützig.

Zuspruch finden die Reise- und Propagandaaktivitäten der bundesdeutschen Rechtsaußen im gesamten brauen Blätterwald. So meint die Deutsche Rundschau in ihrer Juni-Ausgabe: „Nach viereinhalb Jahrzehnten Stillstand und Lethargie gibt es heute im nördlichen Ostpreußen wieder beachtliche Neuanfänge deutschen Lebens.“ Und auch auf Munier und andere Rechte nimmt die Monatspostille aus dem Hause der neonazistischen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ Bezug: „Möglich gemacht wurde dies nicht zuletzt durch die oft aufopferungsvolle und großzügige Unterstützung von seiten privater Förderer in der Bundesrepublik.“

Auch die auflagenstarke Junge Freiheit, führendes Organ im Grauzonenbereich zwischen Neokonservatismus und Rechtsextremismus, informiert seit Monaten über die „aktuelle Situation in Königsberg“. „,Natürlich deutsch‘“ heißt es da lapidar. Hinweise auf Muniers Buch mit dem Untertitel „Bei den Rußlanddeutschen in Ostpreußen“ dürfen ebensowenig fehlen wie Bemerkungen zu dessen Video, das sich – wie könnte es anders sein – 80 Minuten lang der „neuen Heimat der Rußlanddeutschen“ widmet.

Mittels einer Anzeigen- und Unterschriftenkampagne – die unter anderem auch in der FAZ erschien – fordert der „Förderverein zur Wiedervereinigung Deutschlands. Unitas Germanica“, der eng mit der Jungen Freiheit (JF) liiert ist, seit Anfang letzten Jahres „Freiheit für Königsberg“. Stellvertretender Vorsitzender des Vereins ist JF-Chefredakteur Dieter Stein.

Selbstredend springt auch Gerhard Freys National-Zeitung (NZ) auf den Zug auf: „Ostpreußen ist heute mehrfach geteilt. Das ostpreußische Memelland steht unter litauischer, Nordostpreußen mit der Hauptstadt Königsberg unter russischer Verwaltung, der Süden ist polnisch besetzt.“

In einer mehrfach geschalteten Eigenanzeige, die auch als Flugblatt vertrieben wird, ist unter dem Motto „Ostpreußens große Chance“ bei DVU-Chef Frey zu lesen: „Das russisch besetzte Nordostpreußen ist dünn besiedelt. Der Regierungspräsident von Königsberg wünscht die Ansiedlung von 200.000 Rußlanddeutschen sowie eine enge deutsch-russische Gemeinschaft beim Wiederaufbau Ostpreußens. Bonn aber überhört hartnäckig alle Signale einer Erneuerung der alten deutsch-russischen Freundschaft in Ostpreußen und nimmt Rücksicht auf die bankrotte polnische Wirtschaft und die Begehrlichkeit Warschaus auch auf Königsberg. Jetzt sollten sich alle Patrioten in dem Bestreben vereinen, Ostpreußens neue deutsche Chancen zu verwirklichen.“

Frey, durch und durch Geschäftsmann, koppelt die Anzeige mit dem Appell, seiner DVU-eigenen „Aktion Oder-Neiße“ beizutreten. Seit dem Frühjahr neu im Angebot seines umfangreichen rechtsextremen Sortiments: eine Königsberg-Medaille in Gold, die „Ostpreußen-Liebhaber“ zum Preis von 388 Mark erwerben können.

In Nation+Europa, dem ideenpolitischen Sprachrohr deutschsprachiger Rechtsextremisten, war in der September-Ausgabe von 1992 zu lesen: „Ostpreußen ist heute in weiten Teilen menschenleer, und anders als in Zentralasien und womöglich irgendwann in der Ukraine wären die Deutschen im Königsberger Gebiet als Aufbauhelfer vielfach willkommen.“

Die Liste der publizistischen Kampfblätter in Sachen „Ostdeutschland“ ließe sich beliebig verlängern: Da veröffentlicht der Grabert-Verlag in seinen revisionistischen Vierteljahresheften Deutschland in Geschichte und Gegenwart die „Zehn Thesen zur Zukunft von Königsberg“, zusammengestellt von der „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“. Und im revanchistischen Ostpreußenblatt bekundet ein Heinrich Groth: „Weil die Wolgavariante ausscheidet, müssen wir alle anderen Möglichkeiten prüfen. Und da steht Königsberg vorne, ist Nord- Ostpreußen besonders interessant für uns!“ Der Herr gibt sich seit 1992 nach eigenem Bekunden als „Bürger von Königsberg“ aus und bekleidet den Vorsitz der „Wiedergeburt“, einer Organisation der Rußlanddeutschen in den GUS- Staaten.

Und auch so illustre, dem Laien völlig unbekannte Postillen wie das Kölner neurechte Blatt Europa Vorn oder das Organ der „Deutsch-Rußländischen Gesellschaft“ Rußland und Wir oder aber Der Freiwillige setzen sich für ein deutsch-besiedeltes „Ostpreußen“ ein. Letztere firmiert als Kampfblatt der vom biologischen Ende bedrohten „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS“.

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Doch man beläßt es in rechtsextremen Kreisen nicht bei der bloßen Propaganda. So manches Braunhemd läßt sich gern vor Ort blicken, so unter anderem notorische Holocaust-Leugner wie Manfred Roeder, oder der Mitinitiator des alljährlich stattfindenden Rudolf-Heß-Gedenkmarsches Bela Ewald Althans.

Reisen ins „Königsberger Land“ sind ein Renner im rechtsextremen Lager der Bundesrepublik. Zur Einstimmung können „Ostpreußen-Fans“ auf blumige Reiseschilderungen durchs „Königsberger Land“ zurückgreifen, wie sie sich in einer der letzten Ausgaben der Blätter der Artamanen finden. Wer dann gen Osten ziehen will, kann auf einen der verschiedenen Reiseveranstalter zurückgreifen. In der Branche tummeln sich unter anderem die „Türmer-Kulturreisen“ von Gert Sudholt, Ziehsohn des Stellvertretenden Reichspressechefs der NSDAP, die „Germania Reisen“ des NPD-Bundesvorsitzenden Günter Deckert oder die „FZ-Reisen“ des DVU-Machers Frey.

Eine Renaissance erlebt auch deutsches Liedgut. Ganz im Trend des Großreichsdenkens heißt es beim rechten Liedermacher Frank Renicke: „Ob Breslau, Thorn und Danzig, ob Posen, Gleiwitz und Stettin, ob Chemnitz, Bromberg und Leipzig, ob Bozen, Königsberg und Wien, alle sind sie deutsche Städte und liegen in deutschem Land... Deutschland, Deutschland über alles, und das Reich wird neu erstehn... und das Reich muß neu erstehn.“ Ob der Barde solcherlei Gesang bei den wehrsportlichen Treffen der Winking-Jugend anstimmt? Immerhin firmiert er als deren Mitglied.

Auch der Büchermarkt meldet nach jahrelanger Abstinenz wieder Neuerscheinungen in Sachen „Königsberg/Ostpreußen“. So erschien im „Mut-Verlag“ unlängst „Königsberg morgen. Luxemburg an der Ostsee“, ein gemeinsames Werk von Wilfried Böhm (CDU- MdB, stellvertretender Vorsitzender der EVP-Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates) und Ansgar Graw (Redakteur des Ostpreußenblattes und Mitglied der JLO). Bei der „Verlagsgemeinschaft Berg“ wird bald das Buch „Königsberg. Eine deutsche Stadt im Wandel der Zeiten“ ausgeliefert; Autor ist der jüngst verstorbene Nikolaus von Preradovich, der bis zu seinem Tode Mitglied der Redaktion der NPD-nahen Monatspostille Nation war.

Und last not least kümmert sich die rechte Garde auch noch um ihre Veteranen. So will ein Werner Greitschus vom „Preußischen Investment Club“ für „heimattreue“ Rentner und Pensionäre sorgen, „die den Rest ihres Lebens in der Heimat verbringen möchten und dort sogar noch, sofern die Gesundheit es zuläßt, nützlich tätig sein können“. In einem Rundbrief an das „Preußische Volk in aller Welt!“ preist er ein Sozialzentrum „für sozial Schwache, Alte und Behinderte“ im Raume Königsberg an und prophezeit: „Schon recht bald könnten die ersten Gäste dort preiswert und nach hiesigen Gesichtspunkten eintreffen.“ Zur Anreise würde sich für die alternden Kameraden der „Königsberg-Express“ eignen, der seit Mai 1993 an Wochenenden zwischen Berlin und Kaliningrad verkehrt; die Fahrtzeit beträgt dreizehn Stunden.

Allerdings sollten die Veteranen ihre Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Bundesdeutschen Möchtegern-Ostpreußen und Herrenmenschen sei das Studium des rechtsaußen stehenden „PHI- Pressedienstes“ empfohlen. Dort wird nüchtern festgestellt: „Abweichend von Schlesien kann die Rückbesiedelung Ostpreußens nur durch Rußlanddeutsche erfolgen, weil die Lebensverhältnisse in Ostpreußen für keinen in der Bundesrepublik lebenden Deutschen zumutbar sind.“