Sie flogen nicht, sie fuhren

Die Zeit der Zeppeline schien vorbei, doch 1997 soll der Prototyp eines neuen Luftschiffes über den Bodensee kreisen / Von der „Volksspende“ 1908 zum Umweltschutz 2000  ■ Aus Friedrichshafen Corinna Raupach

Ein dumpfer Schlag erschütterte das Luftschiff. „Ich dachte erst, jemand habe es zu heftig gegen den Landemast gezogen, doch als ich aus dem Fenster schaute, brannte das Schiff schon zur Hälfte, bis kurz vor meiner Gondel“, erinnert sich der Maschinist Eugen Bentele. Ohne zu überlegen, sprang er aus der Maschinengondel fast 40 Meter tief auf den Boden und schleppte sich weg. Hinter ihm prallte erst das Heck der „Hindenburg“ auf den Boden, innerhalb einer halben Minute explodierte auch der Bug in einer Stichflamme, um dann Tonnen von halbgeschmolzenen Aluminiumträgern auf der Erde zu zerschmettern. Zwar trug er schwere Verbrennungen davon, als er vor den explodierenden Wasserstoffmassen flüchtete. Doch als ihm klar wurde, daß von den 97 Insassen nur 62 überlebt hatten, schickte er als erstes ein Telegramm an seine Frau: „Bin unverletzt. Muggele“ steht auf dem gelben Stück Papier, das das Ehepaar heute im Photoalbum aufbewahrt.

Als die „Hindenburg“, auch LZ 129 (Luftschiff Zeppelin 129), am 6. Mai 1937 in Lakehurst nahe bei New York verunglückte, war die Zeit der Luftschiffe zunächst vorbei. Der Passagierverkehr mit den wasserstoffgefüllten Zeppelinen wurde verboten, 1939 verfügte die Reichsregierung das endgültige Aus. Unbrennbares Helium war nur in Amerika zu bekommen, das aber die Lieferung an eine Firma im nationalsozialistischen Deutschland verweigerte. In der Zeppelinstadt Friedrichshafen am Bodensee aber ist die Erinnerung an die Luftschiffe noch lebendig. „Als erstes hörte man ein dumpfes Wummern. Das waren die schweren Maybach-Motoren“, sagt ein älterer Herr. Dann erschien das Luftschiff, schwebte heran und tauchte die Dächer in Schatten. „Der Anblick war ästhetisch schön, dieser riesenhafte und gleichzeitig schwerelose Körper, der silbrig in der Sonne schimmerte“, erinnert sich die Rentnerin Friedel B. Sie habe als Kind zweimal die Hindenburg aus der Nähe sehen dürfen. In der Luftschiffhalle konnten BesucherInnen auf einer Galerie um das Luftschiff herumgehen und den Speisesaal, den Salon und die Kabinen betrachten oder einen Blick in die Führergondel werfen. „Das war wie in einem Luxushotel, die Leute konnten während der Fahrt spazieren gehen und aus dem Fenster schauen.“

Ein Schiff zu bauen, leichter als Luft, war kurzgefaßt die Idee des aus Konstanz stammenden Grafen Ferdinand von Zeppelin. Der Graf hatte Staatswissenschaften, Chemie und Maschinenbau studiert, sich dann aber vor allem als Reitergeneral und Diplomat hervorgetan. 1874 notierte er erstmals Überlegungen zu einem gasgetragenen lenkbaren Luftschiff. Doch erst als er 1890 im Alter von 52 Jahren seinen Abschied vom Militär nahm, begannen seine intensiven Studien. Seine Bemühungen stießen jedoch allenthalben auf Unverständnis und Skepsis. „Für mich steht naturgemäß niemand ein, weil keiner den Sprung ins Dunkel wagen will“, ist von ihm aus dieser Zeit überliefert. „Aber mein Ziel ist klar und meine Berechnungen sind richtig.“

Immerhin schenkte ihm sein ehemaliger Dienstherr, König Wilhelm II. von Württemberg, ein Grundstück am Bodenseeufer, nahe bei seiner Sommerresidenz, dem damals 5.000 Einwohner zählenden Friedrichshafen. Graf Zeppelin brauchte den Zugang zum Wasser, um die Schiffe von einem Floß aus mit dem Wind aufsteigen zu lassen. Am 2. Juli 1900 stieg dann auch das erste Luftschiff auf und fuhr 18 Minuten lang über den Bodensee. „Das Ding sah aus wie eine Zigarre, nicht so elegant wie die späteren“, sagt Friedel B., die die LZ 1 selbst nur aus dem Museum kennt. Der erste Zeppelin war 128 Meter lang bei einem Durchmesser von knapp zwölf Metern. In einer ringförmigen Tragstruktur aus Aluminium befanden sich 17 Wasserstoffzellen. Vorwärts bewegte sich das Schiff durch zwei 15 PS starke Daimler-Motoren. Die Luftschiffe flogen nicht – sie fuhren. Anders als bei Flugzeugen war es nicht die Geschwindigkeit des Fluggerätes, die schließlich die Luft unter die Flügel drückte und es hochhob. Die Motoren dienten ausschließlich dazu, das Schiff in der durch Traggas und Gewicht bestimmten Höhe vorwärts zu bewegen.

1908 gründete der Graf mit den Mitteln einer Volksspende die Luftschiffahrt Zeppelin GmbH Friedrichshafen. Ihre Luftschiffe beförderten bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs über 34.000 Personen, beispielsweise nach Berlin, Frankfurt, Leipzig und Düsseldorf. Mit Kriegsbeginn wurden die Zeppeline militärisch eingesetzt, erwiesen sich jedoch aufgrund ihrer Größe und Trägheit sowie der leicht entzündlichen Wasserstoffgasfüllung als wenig effektiv. Die nach dem Krieg verbliebenen und neu gebauten Schiffe wurden entweder zerstört oder als Reparationsleistungen beansprucht. Erst die 1928 fertiggestellte und von Zeppelin-Tochter Hella auf den Namen „Graf Zeppelin“ getaufte LZ 127 blieb im Besitz der Luftschiffbau Zeppelin. Mit 236 Metern war sie mehr als doppelt so lang wie ein Fußballfeld, 12 Maybach-Motoren brachten sie auf die Geschwindigkeit von um die 100 Stundenkilometer.

Josef Braun war schon bei den ersten Fahrten der „Graf Zeppelin“ dabei. Der gelernte Motoren- und Maschinenschlosser fand während eines Sportfestes die Weltreise des Luftschiffs angekündigt. „Das war meine Sache und wegen meiner guten Zeugnisse haben sie mich auch genommen“, erzählt der heute Achtundachtzigjährige.

Am 1. August 1929 begann dann endlich in Lakehurst die Weltreise. Nach einem kurzen Stopp am Bodensee legte das Schiff nonstop die 11.247 Kilometer nach Tokio in knapp 102 Stunden zurück. Braun erinnert sich noch gut an die jubelnde Menschenmenge, die das Luftschiff erwartete. „Wir wurden dort sehr freundlich empfangen“, erzählt er, „jeder bekam einen Wagen mit Chauffeur und Dolmetscher.“ Heute noch hat er die seidene Krawatte und den handgemalten Teller, die er bei seinem ersten Aufenthalt in Tokio einkaufte. Weiter ging es nach Los Angeles und nach Lakehurst, von wo die Besatzung in einem Autokorso mit Konfetti und Sirenen durch New York gekarrt wurde.

Eugen Bentele kam dazu, als der Luftschiffkapitän Hugo Eckener mit der „Graf Zeppelin“ den regelmäßigen Flugverkehr nach Übersee aufnehmen wollte. Ab 1932 reiste er regelmäßig nach Rio, Pernambuco und Recife. Drei Tage brauchte das Schiff, um den Atlantik zu überqueren. „Zu der Zeit war es in Friedrichshafen noch nicht einmal üblich, in die Schweiz zu fahren“, schmunzelt der heute Vierundachtzigjährige. Ihn dagegen zeigen Photos auf dem Zuckerhut, am Strand von Rio und vor Lehmhütten. Unvergeßlich blieb dem leidenschaftlichen Bergsteiger aber eine Fahrt über die Alpen, an Gletschern und Gipfeln vorbei, die auch er nicht besteigen würde.

Als 1936 die „Hindenburg“ fertig wurde, wechselte er auf das neue Schiff. Das hätten alle gewollt, sagt er, die Hindenburg sei schließlich größer, schöner und bis zu 135 Stundenkilometer schnell gewesen. Mit gemischten Gefühlen denkt er an die Deutschlandfahrt, die „Propagandafahrt“, die beide Schiffe gemeinsam 1936 antraten. Sie seien zwar überall begeistert empfangen worden, auch in Danzig und Königsberg. „Aber immer wurden vom Schiff Nazi- Flugblätter geworfen.“ Für ihn war es nach der Lakehurst-Katastrophe mit der Luftschiffahrt vorbei. Er baute von seinem Fahrtengeld das Haus, in dem er heute noch lebt und begann eine Fernschule als Ingenieur.

Die Luftschiffbau Zeppelin GmbH dagegen, seit dem Zweiten Weltkrieg vor allem mit der Verwaltung von Immobilien und der Zeppelin Wohlfahrtsstiftung befaßt, gab den Gedanken an ein neues Luftschiff nie völlig auf. Seit 1989 beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe sowohl mit neuen Technologien als auch mit Anwendungsmöglichkeiten für Luftschiffe. Umfassende Marktstudien ergaben, daß nicht nur Touristik-Unternehmen sich von dem Gedanken angetan zeigten, Stadtrundfahrten, Safaris oder auch Kreuzfahrten per Luftschiff anzubieten. „Auch für Forschungs- und Überwachungszwecke könnten Luftschiffe eingesetzt werden, und zwar dort für Aufgaben, die weder Flugzeug noch Hubschrauber noch Satellit zufriedenstellend zu lösen sind“, sagt Klaus Hagenlocher, der technische Leiter der Gruppe. Da die neuen Schiffe bis zu 36 Stunden in der Luft bleiben, langsam und niedrig fahren können, sind sie für Küsten- und Seeüberwachung geeignet. „Man könnte etwa bei einer Ölspur in der Nordsee runtergehen, eine Probe nehmen und damit den Verursacher identifizieren“, so Hagenlocher.

Auch Schadstoffkonzentrationen in der Luft kann ein Hubschrauber nur ungenau durchführen, da er die Luft und damit auch die Verteilung der Schadstoffe verwirbelt. Die aerodynamische Form des Luftschiffes dagegen ermöglicht präzisere Messungen in verschiedenen Luftschichten. An Überwachungen der Fischereirechte ist ebenso gedacht wie an Waldschadensermittlung und Verkehrsüberwachung.

1997 soll der Prototyp eines neuen Luftschiffs – LZ N07 wie: „Luftschiff Zeppelin Neue Technologie 7.000 Kubikmeter“ – über dem Bodensee schweben. 68 Meter lang und bis zu 140 Stundenkilometern schnell soll er sein, 14 Personen Platz bieten und mit Airbag, Radar und Böenwarngerät modernen Sicherheitsstandards entsprechen. Eine neue Tragstruktur aus miteinander verbundenen triangelförmigen Elementen aus Aluminium und Kohlefaserverbundstoffen macht ihn leichter, eine andere Verteilung der Propeller verbessert die Manövrierfähigkeit. „Früher brauchte man über 100 Leute, die das Luftschiff starten und landen ließen“, so Hagenlocher. LZ N07 wird mit zwei bis zwei Personen auskommen.

Eugen Bentele betrachtet dieses Vorhaben mit Sympathie. „Diese Leute sind Idealisten – aber das war der Graf Zeppelin ja auch.“