Klasse: Fünf Mark mehr Sozialhilfe!

■ Bremen erhöht Sozi in Schrittchen, Grüne nennen das Betrug / Am Monatsende Nudeln

„Das ist eine Schweinerei, da werden die Leute einfach betrogen“, sagt Walter Ruffler, Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen. Die 52.000 Bremer SozialhilfeempfängerInnen bekommen die gesetzlich vorgeschriebenen zwei Prozent Erhöhung nicht auf einen Haps, sondern verzögert in zwei Schritten — ein Prozent (fünf Mark) rückwirkend zum 1.7., ein weiteres Prozent zum 1.1.94. Das hat nun die Sozialdeputation beschlossen.

Das Bundesgesetz fordert die Länder auf, die Sozialhilfe zwischen dem Juli 1993 und dem Juli 1994 „halbjährlich um insgesamt zwei Prozent“ zu erhöhen. Manch anderes Bundesland, so Schleswig-Holstein, Berlin und die meisten der Neuen Länder, haben die Sozialhilfe sofort um zwei Prozent erhöht. Nebeneffekt der Bremer Praxis: Das Land spart 1,25 Milionen Mark an Sozialhilfe. Davon gehen allerdings nochmal 130.000 Mark ab: für den wegen der zweimaligen Umstellung erhöhten Verwaltungsaufwand.

Karoline Linnert, Sprecherin der Sozialdeputation, hofft nun, daß Initiativen klagen. Denn das Gesetz sei widersprüchlich: Entweder man erhöht gleich um die geforderten zwei Prozent, oder man erhöht halbjährlich um erst ein und dann noch ein Prozent — dann aber komme man aufs ganze Jahr gerechnet nicht auf eine Erhöhung von 2, sondern nur auf eine von 1,5 Prozent. „Es wird einfach jedes Jahr bei der Sozialhilfe getrickst“, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete deprimiert. Die Solidarische Hilfe prüft noch, ob eine Klage Erfolg haben könnte.

Eigentlich soll Sozialhilfe den „Bedarf“ decken, sie muß also jedes Jahr der Teuerungsrate angepaßt werden. Doch nun gibt es real immer weniger auf die Kralle: Denn die geplante Erhöhung um zwei Prozent gleicht die Teuerungsrate von vier Prozent nur zur Hälfte aus.

Ganz zu schweigen von der Zukunft: 1994/95 ist erstmal eine Nullrunde vorgesehen (so beschloß es das Bundeskabinett diese Woche), danach wird die Sozialhilfe jeweils höchstens um drei Prozent erhöht, egal wie hoch die Teuerungsrate liegt.

Was Sparen für SozialhilfeempfängerInnen bedeutet, beschreibt Ilona Makossa vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband: „Da wird zuerst am Essen gespart, dann gibt es eben am Monatsende nur noch Nudeln und nichts dazu. Und eine Flasche Bier für den Gast oder ein Kinobesuch ist dann auch nicht mehr möglich.“ Mal schwach werden und sich unterwegs ein Baguette für 5.50 Mark zu leisten — das sei nicht mehr drin, weiß Antje Garrel von der Solidarischen Hilfe, „man hat ja insgesamt nur 8.96 für Essen pro Tag“. Man müsse sich die Leute nur anschauen, dann wisse man, daß das Geld nicht reicht, sagt sie: „Die Leute werden teigig und dick, weil sie das Falsche essen müssen, zum Beispiel billiges Graubrot.“

Langfristig kann man von der Sozi nicht leben, so ihre Erfahrung aus der Beratungspraxis, langfristig werden die Menschen abgedrängt in die Schattenwirtschaft, müssen Verwandte anpumpen oder sich verschulden. Das einzige, was sich die von Sozialhilfe Abhängigen dann oft nur noch leisten, ist die Heizung: „Sozialhilfeempfänger haben einen viel höheren Heizkostenverbrauch als andere - sie weichen eben aus in Bedürfnisse, die erstmal noch erreichbar sind - und eine warme Heizung, das ist eben auch sowas wie Wärme fürs Gefühl." Doch das Sozialamt mahnt zunächst einen niedrigeren Verbrauch an und zahlt dann oftmals nicht mehr die volle Höhe der Heizkosten. cis