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■ Europas multikultureller SelbstbetrugKörper, keine Seelen

Sicher, Rassisten gibt es überall. Offiziell sind sie natürlich immer in der Minderheit, der Rest der jeweiligen Bevölkerung ist tolerant, aufgeschlossen, multikulturell eingestellt. So wie in Italien oder Deutschland, in Holland oder der Schweiz. Und wo sich schon mal Nationalismus überstülpt, ist das angeblich etwas ganz anderes: er hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern lediglich mit einer Selbstidentifikation als Nation; Multikultur kann da trotzdem blühen.

Doch wo sind sie, die Multikulturellen, wenn es darauf ankommt, fremde Kultur nicht nur als Exotikum anzuschauen in Volksbildungsabenden oder bei abendlichen Parties unter der Teilnahme „unserer lieben Freunde aus X-Land“ – sondern wenn es darum geht, jene Integration genauer zu definieren, von der sie immer sprechen? Da plötzlich sind dann die Experten im Differenzieren gefragt. Die finden in der Regel heraus, daß das Wesen der Multikultur darin besteht, die „Spezifität der jeweiligen Kultur“ zu erhalten. Und verdrängen dabei vornehm, daß genau diese Spezifität oft jeder Integration im Wege steht. Wie kann zum Beispiel eine stark religiös geprägte Kultur, die von einem alleinseligmachenden Glauben ausgeht, sich dort integrieren, wo auch andere Alleinseligmachende ihren Anspruch anmelden? Oder, umgekehrt: Wie kann sie ihre Identität – als Alleinseligmachende – wahren, wenn sie sich integriert, was ja immer bedeutet, auf vieles zu verzichten, was einem wesenhaft ist?

Die Frage stellt sich ganz besonders, wenn, wie heute im Falle Bosnien, Flüchtlinge die Nichtintegrierbarkeit geradezu als einziges Gepäck mitbringen. Daß Menschen, die aus einem grauenhaften Bürgerkrieg entkommen sind, ihre Identität nicht von Friedensgedanken, sondern überwiegend aus Rachegelüsten und Haß beziehen, und daß man daran noch lange Zeit weder mit Toleranzappellen noch mit Rationalität oder Psychoanalyse allzuviel ändern kann, muß man akzeptieren – und damit in Kauf nehmen, daß diese Menschen gerade das „multikulturelle“ Zusammenleben gar nicht akzeptieren können und möglicherweise den Krieg im Aufnahmeland einfach fortsetzen. Die Alternative dazu wäre, die Aufnahmebereitschaft für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sozusagen nur auf die Körper, nicht aber die Seelen und Geister zu beziehen, die in diesen Körpern wohnen. Multikultur führt sich hier am Ende selbst ad absurdum. Benati Arcais

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