Macht Scharping den Krieg möglich?

Im Streit um Bundeswehreinsätze plant der Chef der SPD einen scharfen Schwenk  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Bonn (taz) – Ein dramatischer Kurswechsel und ein großer Schritt auf die Bundesregierung zu – nicht weniger war es, was Rudolf Scharping am Donnerstag abend im Keller der rheinland-pfälzischen Landesvertretung vor den zu Dutzenden eingeladenen Journalisten formulierte. Der SPD-Chef, nach einem Pyrenäenurlaub erst seit Montag wieder im Dienst, verbarg seinen Schwenk jedoch hinter gewundenen Worten.

„Die SPD wird sich an Modellen der Kriegsführung nicht beteiligen“, versicherte Scharping, und es klang, als bleibe die SPD bei ihrer harten Haltung: Die Möglichkeit deutscher Blauhelm-Einsätze dürfe ins Grundgesetz aufgenommen werden, Kampfeinsätze der Bundeswehr out of area hingegen sollten verfassungsrechtlich ausgeschlossen bleiben.

Hätte der SPD-Vorsitzende dies gemeint, hätte er anders formulieren müssen, etwa: „Die Bundeswehr darf sich an Modellen der Kriegsführung nicht beteiligen.“ Tatsächlich verkündete Scharping, daß „ein Konsens über innerstaatliche Entscheidungsmechanismen“ nichts zu tun habe „mit unterschiedlichen außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen“. Sollte heißen: ein Kompromiß mit Union und FDP über eine Grundgesetzänderung sei etwas anderes als die außenpolitische Linie der SPD.

Das „Dilemma“ sei doch gerade, daß in der Debatte um Bundeswehreinsätze immer wieder verschiedene Aspekte verwoben würden: „verfassungsrechtliche, politische und außenpolitische“. Dieses Knäuel möchte der SPD- Chef auflösen und zwei Fäden säuberlich trennen: Den roten Faden, den die SPD in ihrer Außenpolitik verfolgt, und die Linie für eine Grundgesetzänderung. Sie soll nach Scharpings Ansicht vor allem festlegen, welche Mehrheiten im Bundestag vor einem Militäreinsatz erforderlich sind. Er empfahl, sich an den Verfassungsartikel anzulehnen, der den Verteidigungsfall regelt. Die Feststellung des Verteidigungsfalls, heißt es in Artikel 115a Grundgesetz, „trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages“.

Daran, so Scharping, sollte sich die Diskussion orientieren. Ob darüber hinaus bestimmte Formen von Bundeswehreinsätzen – etwa Kampfeinsätze – im Grundgesetz ausdrücklich ausgeschlossen werden sollten, dieser Frage wich der SPD-Chef beharrlich aus. „Ich sehe schon wieder die ganzen Modellschreiner vor mir“, stöhnte er und wies darauf hin, daß der Begriff „Kampfeinsätze“ in der UNO-Charta gar nicht auftaucht. Einsätze nach Kapitel VII der Charta auszuschließen, sei ebenfalls schlecht möglich, regele doch dieser Abschnitt nicht nur Kampfeinsätze, sondern auch Embargomaßnahmen, an denen die Bundesrepublik sehr wohl teilnehmen könne.

Scharping sagte es nicht so deutlich, aber es scheint, daß er auf die Linie eingeschwenkt ist, die etwa der SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt seit langem verficht. „Vieles“ spreche dafür, bekräftigte Voigt gestern, in das Grundgesetz eine allgemein gehaltene Formulierung aufzunehmen, die verschiedenste Arten von UNO-Einsätzen ermöglicht, sie jedoch in jedem Einzelfall daran bindet, daß eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag zustimmt. Einsätze, die der Opposition nicht passen würden, könne diese „ja im Einzelfall blockieren“, meinte Voigt zur taz. Eine Abgrenzung verschiedener Einsätze per Grundgesetz könnte dagegen Schwierigkeiten bereiten. Seien doch Blauhelm-Einsätze selbst in der UNO-Charta nicht ausdrücklich geregelt. Bloßes „Völkergewohnheitsrecht“ liege ihnen zugrunde, und dies sei, wie die Erfahrung zeige, „dynamisch“.