Statt gezielter Ausgleichsgymnastik zielt Fitness auf allumfassendes Wohlbefinden. Von Hacke bis Nacken ein einzig Wohlgefühl. Von Mariam Niroumand

Ein Leben in Freizeit

Auf die Frage, was ihm zu Fitness einfalle, antwortet mein Bio- Bäcker wie aus dem Früchtebrötchen geschossen: Jane Fonda, teures Schuhwerk, Leni Riefenstahl und muffiges Studio mit müder Topfpflanze. Der Mann hat ganz offensichtlich seit zwanzig Jahren nichts mehr gesehen.

Er kennt keine Laufbänder mit Musikvideos. Mein Bio-Bäcker weiß auch nichts von programmierbaren Gegnern, die einem auf dem Bildschirm bei der Fahrt durch ein virtuelles Colorado – man kann auch Bayern wählen – hinterhersetzen, und er sieht die 4.000 Quadratmeter großen Studios nicht, deren Hallen mit Granat und weißem Marmor beschlagen sind und in die man mit goldenem Meridian-Mitgliedskärtchen eincheckt.

Dreiundzwanzig Millionen Menschen sind Mitglied im Deutschen Sportverband und machen aktiv oder passiv Sport. In den Jahren zwischen 1980 und 1989 stiegen die Ausgaben für Gesundheit um 1.028 Mark pro Kopf. Und die Lebenserwartung stieg ebenfalls, um über zwei Jahre. Zwei Millionen Menschen betreiben Fitness in einem Studio, also Aerobics oder die Neuentdeckung Callanetics, zur speziellen Beseitigung der häßlichen Oberschenkelzellulitis, Bodybuilding, Wirbelsäulengymnastik, Radeln, Rudern oder ganz einfach Schwitzen.

Das Mißtrauen speziell gegenüber dem Bodybuilding ist den Aktivisten aber durchaus bewußt. Albert Busek, Chefredakteur der Sport Revue: „Sandow (ein Fin-de- siècle-Pionier, d.Red.) und Schwarzenegger hatten in ihren Bodybuilding-Anfängen auch Probleme mit dem Muskel-Verständnis in der Öffentlichkeit. In der viktorianischen Zeit wurde alles Körperliche eher verdrängt denn gefördert. Und in den ersten 20 Jahren nach dem II. Weltkrieg wurde man in ganz Europa, besonders aber im deutschsprachigen Raum als mehr oder weniger verrückt angesehen, wenn man sich dem Bodybuilding und damit dem gezielten Muskeltraining verschrieben hatte.“

Nun habe aber „im Umfeld ökologischer Apokalypse“ der Körper eine neue Bedeutung erhalten. „Wenn ich unter einer Hantel beim Bauchdrücken liege“, so ein Muskelmann, „dann ist das verwendete Gewicht für jeden gleich, egal ob berühmt oder unbekannt, ob reich, ob arm, ob jung, ob alt.“ In der Tat finden sich in Umkleidekabinen und Magazinen hübsche Poster für „All Together Now – Fitness Products“. Unter dem kräftigen Konterfei von Arnold Schwarzenegger werden Aminosäuretabletten, Eiweißkonzentrate oder „California-Heavy- Duty-Hanteln aus Chrom, kleine gebogene Trizepsstangen und die Poster „Ralph Müller“ oder „Lady mit Zopf“ angeboten.

Fitness – große Gleichmacher? Keineswegs. Seit den Anfängen in den späten sechziger Jahren, als Fitness noch Gymnastik hieß und Hausfrauen durch gemeinnützige Träger an jedem Donnerstag ein bißchen Ausgleich und Glück geboten wurde, trennt sich zunehmend die Spreu vom Weizen. „In den sechziger Jahren“, so Peter Wehr von der Deutschen Gesellschaft für Freizeit, „herrschte noch die Freßwelle, mit der man die Mangelernährung der Nachkriegsjahre kompensieren wollte. Erst in den Siebzigern stellte sich heraus, daß das ungesund war. Damals war Bodybuilding durchweg etwas für Arbeiter; die Hausfrauen machten Trimm-dich-Programme, und die Intellektuellen blieben aus Distanz zum Körperlichen und der Abneigung gegen Vereine weg.“

Das war die Chance der Studios, von denen es inzwischen 5.000 gibt. Während gemeinnützige Träger die Low-budget-Schichten der Bevölkerung betreuten (vor allem Wettkampfsport für Jugendliche, Hausfrauen), boten die Studios Ausgleichsgymnastik für automatisierungsgeschädigte Angestellte. Nach und nach verschwand alles nach Volkssport klingende und wich einem Gemisch aus Amerikanisch (Joyrobics), wissenschaftlicher Nüchternheit (PZG-Problemzonengymnastik) und klassischen Exotica wie Studio „Apoll“ und „Villa Wiegand“.

Im Berliner Grunewald schwitzt auch der Immobilienhai, der zwischen Freizeit und Arbeit eigentlich keinen Unterschied mehr sehen möchte. „Life Sport & Art“ heißt eines der exklusivsten Etablissements, in denen klassische Bodybuilder nicht gern gesehen sind. Zwischen Gemälden und Grafiken, unter Anleitung von Diplomsportlehrern und Physiotherapeuten kurieren Manager ihre Herzinfarkte, suchen junge Damen nach Don Johnson, der hier unlängst in der Sauna gehockt haben soll. Für sie ist das Konzept von „Swisstraining“ in Hamburg, die sich ohne jeden Schnickschnack als riesiger Maschinenpark präsentieren, absolut undenkbar. Funktionalität jedoch wird eher gschamig verleugnet.

Erreichbar und verträglich auch für die taz-Redakteuse, die ein gewisses Unbehagen an der eigenen Fettmopsigkeit und Nackenstarre nicht mehr abstreiten kann und will, sind die luftig-freundlichen Women-only-Studios, in denen Sportstudentinnen einem unprätentiös und für nur hundert Mark im Monat zur Seite stehen. Zum Dröhnsound von „Radio Energy“ hopst man unbelacht über den Parkettschwingboden.

Der Trend, so weiß Freizeitexperte Peter Wehr, geht von Fitness zu Wellness, einem ganzheitlichen Konzept des Wohlbefindens von Hacke bis Nacken, einschließlich der Seele.

Mit viel Geld läuft das auf „multifunktionale Freizeitanlagen“ hinaus, die alles von Badminton über autogenes Training bis hin zu Bauchtanz oder Mutter-und-Säugling-Gymnastik offerieren. Mit wenig Geld läuft es darauf hinaus, daß an die Aerobic-Stunde zehn Minuten tiefsinniges Atmen gehängt werden. Bioenergetik, Aminosäurehaushalt, Essen, Trinken, Kontakte knüpfen – bald kann, wer's mag, ein ganzes Leben in seiner Freizeit zubringen.