"Sarajevo ist kein Supermarkt"

■ UNHCR kritisiert Evakuierungsaktion der britischen Regierung / Kroatien kündigt Vertrag über Räumung der Maslenica-Brücke / Bei Mostar werden 1.200 muslimische Zivilisten gefangengehalten

Sarajevo (AFP/AP/taz) – Zwischen der britischen Regierung und dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist ein Streit über die Evakuierung von Kranken und Verwundeten aus Sarajevo ausgebrochen. Während der britische Premier John Major beklagte, daß bei der von ihm inszenierten Hilfsaktion nur wenige Kinder auf den UNO-Listen aufgeführt sind, verdichtet sich bei den zuständigen UN-Behörden der Eindruck, daß es den Briten vor allem um eine medienwirksame Aktion gehe. Und auch die britischen Medien, die in der letzten Woche in aller Ausführlichkeit über das Schicksal der aus Sarajevo ausgeflogenen und in London operierten fünfjährigen Irma berichtet hatten, kritisierten inzwischen das „politische Eigeninteresse“, das Major mit der „Operation Irma“ verfolge.

Die deutlichsten Worte für die Public-Relations-Show fand UNHCR-Sprecherin Sylvana Foa: Sarajevo sei kein Supermarkt, in dem man aussuchen könne, wer ausgeflogen werde. „Vielleicht will Großbritannien nur Kinder unter sechs oder nur blonde und blauäugige Kinder.“ Die britische Regierung dementierte dagegen, daß ihr Land nur an Kindern interessiert sei. Man habe sich bereit erklärt, 20 Schwerverletzte aufzunehmen, unter ihnen sollten vorwiegend Kinder sein. Die vom UNHCR für London zusammengestellte Aufstellung der vordringlichen Fälle berücksichtige nur 17 Verletzte, darunter jedoch mehrere ambulante Fälle und nur zwei Kinder. Die britische Überseeministerin erinnerte zudem daran, daß ihre Regierung schließlich die Finanzmittel für die „Operation Irma“ bereitstelle. Die Hilfe für Kinder sei die ursprüngliche Motivation für das Angebot gewesen.

In einem Schreiben an UN-Generalsekretär Butros Ghali hat der kroatische Außenminister Granić den Vertrag über den Rückzug kroatischer Truppen aus Südkroatien für null und nichtig erklärt. Eine Beilegung des Konflikts zwischen der Regierung in Zagreb und den kroatischen Serben, die Teile Südkroatiens kontrollieren, ist damit weiterhin unwahrscheinlich. Das Abkommen von Erdut sah den Abzug der Kroaten aus dem Gebiet um den Maslenica- Meeresarm, den Flughafen Zadar- Zemunik und den Peruca-Staudamm bis 31. Juli vor.

In Mittelbosnien und der Herzegowina gingen die Kämpfe zwischen der bosnischen Armee und serbischen sowie kroatischen Soldaten weiter. In Vitez wurde ein Mitarbeiter des UNHCR getötet, als sein deutlich gekennzeichnetes und gepanzertes Fahrzeug von einem großkalibrigen Hochgeschwindigkeitsgeschoß durchschlagen wurde.

Nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) halten kroatische Verbände auf einem stillgelegten Hubschrauberflugplatz in Rodoc bei Mostar mindestens 1.200 muslimische Zivilisten gefangen. Der Sprecher der UN-Schutztruppen, Barry Frewer, hatte zuvor von 22.000 in Mostar und Umgebung gefangenen Zivilisten gesprochen. Der bosnische Präsident Alija Izetbegović hatte am Donnerstag erklärt, „Tausende“ von Gefangenen seien dort „seit vielen Tagen“ Mißhandlungen ausgesetzt. Das IKRK bestätigte die hohen Angaben über die Zahl der Gefangenen zunächst nicht, stellte jedoch zugleich fest, daß weitere Internierungsstätten existieren könnten.