Dino-Kino Von Mathias Bröckers

Ohne Dino geht der Nino nie ins Bett – zwar ist Hollywoods Mega- Investment der Saison, Spielbergs „Jurassic Park“, noch nicht im Kino, aber alle Merchandiser sind schon da: Von der Mini-Anstecknadel bis zur Riesen-Plastikfigur, vom T-Shirt bis zum Bettbezug, ohne Saurier geht heuer nichts. Der Dino-Rummel verdankt sich nicht allein dem PR-Feldzug der Filmindustrie; der Stammplatz, den die Riesenechsen seit je in allen Kinderherzen haben, sorgt dafür, daß sie auch noch in erwachsenen Hirnen in der Abteilung „Faszinosum“ abgelegt sind. Kaum einen Kinderwunsch erfüllen Eltern so gern wie den nach den schrecklichen Urzeit-Monstern. Insofern könnte der bayerischen CSU, die das Dino-Kino erst „ab 16“ genehmigen wollte, die Schlagzeile „Stoiber mag keine Dinosaurier“ noch schwer zu schaffen machen. Ob es nun der plötzliche Niedergang der einstigen Herren der Erde ist, als Menetekel für das künftige Schicksal der Menschheit, oder die Tiefenerinnerung an die überwundenen Schrecken der evolutionären Vorzeit – die Rolle der Saurier im Imaginations-Kino des Homo sapiens ist ebenso rätselhaft wie ihr Verschwinden von der Erdoberfläche vor 60 Millionen Jahren.

Die Fortschritte, die die Erdwissenschaften in jüngster Zeit in Sachen Saurier-Aussterben gemacht haben, könnten aber auch dazu beitragen, irgendwann ihr scheinbar ewiges Leben im menschlichen Gehirn zu erklären. Seit die Geologen Alvarez und Alvarez Anfang der 80er den Einschlag eines zehn Kilometer breiten Asteroiden am Ende der Kreidezeit nachwiesen, ist in den Erdwissenschaften ein neues Zeitalter angebrochen. Die Vorstellung von einer linear voranschreitenden Evolution ist der von einem kataklystischen, durch große kosmische Katastrophen erschütterten Evolutionsgeschehen gewichen. Die Entwicklung der Arten wurde durch gewaltiges Massenaussterben, das teilweise über 80 Prozent allen Lebens ausrottete, immer wieder zurückgeworfen. Auch im Vergleich zum Erdumfang winzige Boliden wie das Geschoß am Ende der Kreidezeit lösten Dutzende von Folgekatastrophen (Klimaveränderungen, supersaure Regen, Sintfluten) aus. Die Saurier verdanken ihr endgültiges Aussterben nicht der Vergreisung – ihren so oft zitierten „zu kleinen Gehirnen“ –, sondern einer solchen kosmischen Katastrophe, die ihre Nahrungskette abrupt unterbrach. Das Futter ging von einem Tag auf den anderen aus, und davon wurden sie fast so eiskalt erwischt wie Millionen Jahre später die von einer plötzlichen Vereisung auf der Stelle tiefgefrorenen Mammuts.

Sie sind nicht immer „traurijer“ geworden, die Saurier, und irgendwann einfach an evolutionärer Depression eingegangen, sondern wurden von einem kosmischen Boliden dahingerafft, der auch für mehr als die Hälfte aller anderen Tierarten das Ende bedeutete. Plötzlich, unerwartet, mitten aus dem prallen Saurierleben. Wenn also demnächst jeder Haushalt von mindestens einer Echsen-Figur geziert wird, ist darin nicht nur eine neue Großschandtat der Plastikmüllindustrie zu sehen. Die Dino-Ikone erfüllt denselben Zweck, der einst dem Heiligen-Winkel oblag: zu mahnen, daß das Ende plötzlich kommt.