Westliches Doppelspiel in Bosnien

Setzten EG, USA und Nato in Wirklichkeit die Bosnier unter Druck? / Die Bewegungsmöglichkeiten Präsident Izetbegovićs sind kleiner als die der serbischen Belagerer Sarajevos  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Staatsbegräbnisse sind eine unverfängliche Gelegenheit, um ohne großes Protokoll und öffentliches Aufsehen Politik zu betreiben. So auch am vorletzten Samstag bei der Beerdigung von König Baudouin in der belgischen Hauptstadt Brüssel. Zu den zahlreichen gekrönten Häuptern, Staatschefs und Würdenträgern in der Kathedrale Sankt Michael gehörte neben Kroatiens Präsident Franjo Tudjman auch dessen bosnischer Amtskollege Alija Izetbegović, der hatte seine sterbende Hauptstadt Sarajevo bereits zwei Wochen zuvor Richtung Genf verlassen, wo an jenem Wochenende aber aufgrund der serbischen Weigerung, die Berge Igman und Bjelašnica zu räumen, Verhandlungspause war.

Die Bedingungen, um am Rande Brüsseler Beerdigung auch noch ein wenig balkanische Politik zu machen, waren also ideal. Während nur wenige Kilometer von der Kathedrale entfernt im Nato- Hauptquartier Militärexperten über die operativen Details von Luftangriffen auf serbische Stellungen um Sarajevo diskutierten, machte Belgiens Außenminister Willy Claes in seiner Eigenschaft als EG-Ratspräsident Izetbegović klar, daß er unter keinen Umständen mit dieser oder einer anderen Militäraktionen der westlichen Allianz rechnen könne. Claes, so wird inzwischen auch aus EG-Kreisen bestätigt, erläuterte dem bosnischen Präsidenten also bereits vorab, wie der Nato-Beschluß zu verstehen sein werde, den der Nato-Rat dann am folgenden Montagabend faßte: Als Konsensbeschluß nämlich, der einerseits zwar bei den bosnischen Serben als Drohsignal ankommen solle, tatsächlich aber konkrete militärische Maßnahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses ausschließe.

Zudem macht Claes dem bosnischen Präsidenten auch unmißverständlich klar, daß er sich die Weigerung zu Direktverhandlungen mit Serbenführer Karadžić und Kroatenchef Mate Boban am Genfer UN-Verhandlungstisch zwar so lange leisten könne, bis die serbischen Truppen die Berge räumen. Sollte der Bosnier jedoch darüber hinaus Vorbedingungen für die Wiederaufnahme der Direktverhandlungen aufstellen oder gar den Genfer Tisch völlig verlassen, so werde die EG einzig ihn zum Sündenbock für ein Scheitern der Bosnien-Verhandlungen erklären.

Izetbegović verstand sehr gut. Deswegen bezeichnete er auf seiner Pressekonferenz am letzten Freitag die vollständige Aufhebung der Blockade Sarajevos, die freie Durchfahrt für humanitäre Hilfslieferungen in ganz Bosnien, sowie die Einstellung aller Kämpfe zwar als seine „vorrangigen“ Forderungen für die gestern nachmittag wiederaufgenommen Direktverhandlungen, betonte aber gleichzeitig, die Erfüllung dieser Forderungen sei „keine Vorbedingung“ für die Verhandlungen über die territoriale Aufteilung der ehemaligen jugoslawischen Republik. Die Erklärung stieß auf einiges Erstaunen in Genf, zumal doch die Clinton-Administration in Washington in der letzten Woche und auch der Nato-Rat in seinem Beschluß vom vergangenen Montag ausdrücklich betonten, daß neben einer anhaltenden Besetzung der beiden Berge auch die fortwährende Blockade Sarajevos oder die weitere Behinderung von Hilfskonvois in ganz Bosnien mögliche Anlässe für Luftangriffe seien.

Viele Beobachter nahmen nun an, der Präsident sei in einer starken Position und könnte es sich leisten, weitere Bedingungen aufzustellen. Doch Izetbegović wußte besser, was er von den öffentlichen Äußerungen aus Washington und Brüssel zu halten hatte. Die Signale, die er und sein Außenminister Haris Siladjžić in der letzten Woche in Genf vom bisherigen Bosnien-Beauftragten der Clinton-Administration, Bartholomew, und dessen Nachfolger, Redman, erhalten hatten, waren eindeutig: Die USA sei nicht ernsthaft zu militärischen Maßnahmen bereit. Durch die Blume bestätigten die beiden Clinton-Gesandten, was der bislang für die Bosnien-Politik im Washingtoner State Department zuständige Beamte Freeman vorletzte Woche öfentlich als Grund für seine Kündigung angab: die Clinton-Adminsitration betreibt ein Doppelspiel.

Die eskalierte Diskussion über mögliche militärische Maßnahmen des Westens – beziehungsweise der Nato – in den letzten Wochen hatte weniger den Zweck gehabt, die Serben zu beeindrucken und zu Kompromissen am Verhandlungstisch zu zwingen, als Izetbegović wieder Hoffnung auf Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft zu machen und ihn so wieder zurück nach Genf zu bringen. Während in den USA durch den Rücktritt von Freeman das Doppelspiel der Clinton-Administration zunehmend in die Diskussion gerät, ist es in EG-Europa noch relativ ruhig. Am letzten Freitag gab es im Niederländischen Parlament eine heftige Auseinandersetzung zwischen Abgeordneten, die kritisch nach der Rolle von EG und ihrem Vermittler Lord David Owen fragten, und dem Außenminister Kojmans, der auf diese Fragen nichts zu antworten wußte. Wenn EG, USA und Nato ihr Doppelspiel fortsetzen, ist bald mit einem neuen Stillstand der Genfer Verhandlungen zu rechnen. Nur hat Izetbegović dann nicht mehr die relativ starke Rolle, die er in den letzten zwei Wochen mit seiner Weigerung zu Direktverhandlungen noch spielen konnte.