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In Bedrängnis

■ Neues Deutschland: Mit einer Millionenklage versucht die Treuhand, die "Sozialistische Tageszeitung" zu ruinieren

Nach dem Termin beim Berliner Landgericht am Montag wirkte Alexander Eich, Anwalt des Neuen Deutschland, gelassen und sogar ein wenig optimistisch. Man habe, so interpretierte er die Äußerungen der 9. Kammer, einen „Etappensieg“ errungen. Adressat der leisen Häme war die Treuhandanstalt, die auf dem Wege einer Zivilklage vom Neuen Deutschland (ND) 15,5 Millionen Mark zurückhaben will.

Hintergrund des Rechtsstreits, bei dem am 20. September das Urteil verkündet werden soll, ist eine Investitionshilfe der PDS-eigenen Holding Zentrag an das Neue Deutschland im Juni 1990. Damals waren 31 Millionen DDR-Mark (nach der Währungsumstellung 15,5 Millionen D-Mark) für die Umstellung von Blei- auf Lichtsatz und eine neue Telefonanlage bereitgestellt worden. Ein rechtswidriger Vorgang, wie die Treuhand heute meint. Der Transfer sei an der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR vorbeigeschleust worden. In der Tat hatte die damalige DDR-Volkskammer am 1. Juni 1990 beschlossen, das Vermögen der Parteien und Massenorganisationen unter treuhänderische Verwaltung zu stellen. Der entsprechende Gesetzestext – so die Argumentation des ND – sei aber erst am 12. Juni veröffentlicht worden, also genau fünf Tage nachdem die Überweisung der Zentrag an die Zeitung erfolgt war.

Über die Erfolgsaussichten ihrer Klage scheint sich die Treuhand selbst nicht ganz sicher zu sein. Vorsorglich setzte sie zunächst nur zwei Millionen Mark der stattlichen Summe an, um die Prozeßkosten im Falle einer Niederlage so niedrig wie möglich zu halten.

Sollte aber – wonach es derzeit nicht aussieht – das Landgericht der Treuhand recht geben, scheint das Ende des Neuen Deutschland besiegelt: Zwei Millionen Mark, so erklärt ND-Geschäftsführer Wolfgang Spickermann, „können wir einfach nicht aufbringen“. Dann bleibe nur der Gang zum Konkursrichter. Spickermann, der sich in den vergangenen Wochen in einer siebenteiligen Serie gegen die Politik der Treuhand und der Unabhängigen Kommission einschoß, sieht sein Blatt als Opfer eines Kesseltreibens. Noch während er an seinem letzten Artikel schrieb, überraschte ihn das Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit der Nachricht, daß die Deutsche Reichsbahn (DR) als Eigentümerin des ND-Geländes am Franz-Mehring- Platz in Ostberlin nunmehr Ansprüche auf das Verwaltungsgebäude der Zeitung erhebt. Die nächste Zivilklage scheint dem Blatt damit sicher zu sein. „Das ist das Schlupfloch, mit dem diejenigen, die uns weghaben wollen, noch einmal eine Chance erhalten“, meint Spickermann.

Die Redaktion bleibt gelassen

In der kampferprobten „Sozialistischen Tageszeitung“ (ND-Untertitel) scheinen solche Horrormeldungen kaum noch anzukommen. „Das reißt keinen mehr vom Hocker“, meint ein Redakteur. Zu oft sei das Blatt in der Vergangenheit bedrängt worden, doch immer wieder habe es sich hochgerappelt. In der Tat gibt es wohl kein (ostdeutsches) Blatt, das derart auf die Treue seiner Leser zählen kann. Als die Treuhand im Oktober 1991 die Zeitung aus ihrer Verwaltung entließ (kurz zuvor hatte die Parteienkommission die Freigabe von Sanierungsmitteln aus dem treuhänderisch verwalteten SED/PDS- Vermögen verweigert), frohlockte die Konkurrenz. Doch ein eilig ins Leben gerufener Verein von ND- Freunden verhalf bis zum Frühjahr 1992 zu einer Spende von über einer Million Mark.

Zwar ist das ND nicht mehr das Zentralorgan einer Partei. Die PDS aber kommt darin nicht nur gebührend zu Wort, sie bildet auch unverkennbar das Fundament des Blattes. So hält die Partei des Demokratischen Sozialismus in der vor drei Jahren gegründeten ND- Verlagsgesellschaft fünfzig Prozent der Anteile. Der Rest wiederum entfällt auf die Deutsche Druckerei und Verlagskontor GmbH (DVDK), eine 100prozentige Tochter der Zentrag. Und die wiederum ist eine 100prozentige Tochter der PDS.

Trotz Millionenhilfe beim Gang in die deutsche Einheit mußte das einstige Zentralorgan der SED in den letzten Jahren kräftig abspecken. Von 520 Beschäftigten blieben bis zum heutigen Tage 100 übrig – knapp über die Hälfte sind Redakteure. Wie der PDS die Mitglieder, so liefen auch dem ND die Leser weg. Von 1,2 Millionen zu DDR-Zeiten sind ihr 83.000 Leser geblieben. Um Kosten zu sparen, wurde im September letzten Jahres schließlich auch das Format – einst mit dem der SZ oder FAZ vergleichbar – verkleinert. Die Pläne, das ND als linke Alternative zur taz in der Bundesrepublik zu plazieren, werden heute selbst von den Redakteuren nur noch müde belächelt. 95 Prozent der Leser (Altersdurchschnitt nach ND-Angaben 56 Jahre) kommen nach wie vor aus dem Osten.

Entsprechend eng ist auch die Themenauswahl: Wohl kein Tag verging in den letzten Wochen, an dem nicht über den Hungerstreik der Kali-Arbeiter von Bischofferode berichtet wurde. Stets im Mittelpunkt: die geprellten, getäuschten, betrogenen Ostdeutschen. Daß das Blatt – wie ein Blick in eine einzige Ausgabe beweist – ausnahmslos auf Betroffenheitsberichterstattung setzt, läßt Spickermann nicht gelten: „Vor zwei Jahren hat man uns schon Larmoyanz vorgeworfen. Aber heute ist das Desaster, das der Westen im Osten angerichtet hat, tagtäglich zu sehen. Unsere Berichterstattung ist nun einmal näher an der Ostbasis dran als die FAZ und auch die taz.“

Und dafür, so scheint es, lassen sich PDS-Genossen älteren Jahrgangs gerne mobilisieren. Seit Monaten klappern sie nun Haustür für Haustür ab. Stets auf der Suche nach Menschen, die für die 29 Mark eines Solidaritätsabonnements der bösen Treuhand und damit dem Westen im allgemeinen den Kampf ansagen wollen. Severin Weiland

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