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Humanität und Vernunft nicht günstig

Vom Strafrecht zum Lebensschutz – Eine Ausstellung zur Geschichte der Abtreibung in Dresden  ■ Von Katharina Rutschky

Schutz ist angesagt. Jeder will geschützt werden oder auch gleich selber schützen – beides immer unter Inanspruchnahme von Staatsgewalt und Steuergeld. Gearbeitet wird am Umweltschutz und Denkmalschutz, am Schutz hochspezialisierter Identitäten und Minoritäten, gern am Kinderschutz und, last but not least, am Frauenschutz. Wir leben gefährlich, Tendenz „steigend“, wie es immer dann heißt, wenn Stimmungen die Realitätsprüfung außer Kraft setzen. Da kann es niemanden wundern, wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner letzten Verlautbarung zum §218 noch einen Schritt weiter geht und gleich das Leben als solches zu schützen aufgibt. Ohne Wenn und Aber werden zwei miteinander verschmolzene Zellkerne weiblicher und männlicher Herkunft mit Würde und Recht begabt und dem Staat mit seinen ausführenden Organen ans Herz gelegt, die bürokratische Brust, es zu hegen und seine Interessen im Konflikt mit dem Wirtsorgan (Frau) zu vertreten. Das Leben ist heilig, vor allem, wenn es im Labor erscheint: Technologie-induzierte Sentimentalität. Mit dieser sensibilistischen Lebensschützermentalität liegt das Verfassungsgericht ganz im Trend, der in pseudoreligiöse Wasser treibt und Humanität und Vernunft nicht günstig ist.

In der Ausstellung des Dresdner Hygiene-Museums hat mir am besten der Spruch gefallen, der das andauernde Dilemma formuliert, ohne es essentialistisch, unter Bezug auf ideologische Konstruktionen wie „Leben“ zu verleugnen. Frauen, so ist da zu lesen, tun alles, um ein Kind zu bekommen; sie tun aber auch alles, um es nicht zu bekommen. Wenn ein demokratischer Rechtsstaat zu diesem Dilemma Position bezieht – über den Respekt vor der Selbstbestimmung der Frau hinaus –, dann müßte er imstande sein, die inhumanen Konsequenzen des ganzen, nicht bloß des halben Dilemmas ins Auge zu fassen. Das geschieht aber nicht, weil Geld und Macht an der Produktion, nicht ihrer vernünftigen Beschränkung hängen. Deshalb kann Unfruchtbarkeit als Krankheit kassenmäßig abgerechnet werden, ihr Gegenteil soll aber Schicksal sein. Und weh tun, so oder so.

Der Museumsleitung und den Ausstellungsmachern lag es fern, in die aktuelle Diskussion um den Kompromiß der Bundestagsmehrheit und die Entscheidung von Karlsruhe oder die Abschaffung der Fristenlösung in der ehemaligen DDR einzugreifen oder gar Stellung zu beziehen. Ihr Ziel war bescheiden: den Streit durch den Rückverweis auf alle Facetten der Geschichte und die dinglichen Hinterlassenschaften des Kampfes um individuelle Geburtenregelung wieder ins Gespräch zu überführen.

Denn um die geht es, ist es immer gegangen, und ich hätte mir gewünscht, daß das Wort Abtreibung im Sachtitel der Ausstellung und für den Katalog nicht so unreflektiert eingesetzt worden wäre. Es ist ein parteiliches Wort, in dem das Dilemma zugunsten der einseitigen Konzeptualisierung durch Theologen, Moralisten, Gesetzgeber, kurzum: die Herrschenden unterdrückt wird. Vielleicht bloß auf dem Weg zum berühmten „Gläsernen Menschen“ wandeln auch Kinder durch die Ausstellung. Was können sie vom Kampf gegen den „Schandparagraphen“ 218 halten, den die Großmütter ihrer Mütter geführt haben, die ihrerseits vielleicht einmal die Finanzierung eines rechtswidrigen Abbruchs bewerkstelligen müssen?

Ich prognostiziere einen kontraproduktiven Aufklärungseffekt von der phantastischen Egozentrik, die sich Pasolini noch in seinem Votum gegen die Einführung der Fristenregelung in Italien geleistet hat: Abtreibung ist Mord, denn der Embryo bin ich. Dieses verquere Votum eines Homosexuellen gegen die Freiheit der Andersvögelnden mit Reproduktionschancen oder -risiken wird im Katalog nachgedruckt. Zu lernen ist aus ihm, daß wir uns auf unsere Gefühle, oder wie im Fall Pasolinis, auf Träumereien über die selige fötale Existenz im mütterlichen Fruchtwasser bei der Bearbeitung des Dilemmas nicht verlassen können. Denn die Natur, der hier ihr Lauf gelassen werden soll, ist nicht gut, sondern von grausamer Gleichgültigkeit gegen die Wesen, die sie in verschwenderischer Zahl hervorbringt. Verbrechen und Barbarei beginnen nicht dort, wo Gebärende das Neugeborene ersticken oder Mütter durch Vernachlässigung die Lebenschancen kleiner Kinder minimieren oder selbst auf dem Küchentisch bei einer Engelmacherin Gesundheit und Leben riskieren.

Am Anfang der Ausstellung steht die Kunst. Wenn man will, kann man schon in den Bildern der Künstlerinnen die ganze Skala der Reaktionen auf das prototypische Schicksal der Frau erkennen. Sie reicht von der Obsession mit dem Körperschmerz bei Kahlo bis zu Oppenheims mädchenhafter Abscheu vor der Entfremdung durch die Kreatürlichkeit der Reproduktion, deren moderne Sterilisierung in der Klinik das Thema vieler Bilder von Munsky ist. Fausts Gretchen in der Zeichnung von Kollwitz steht in der langen Tradition, die das Problem unfreiwilliger Schwangerschaft im Rahmen sozialer Melodramatik abhandelt. Demnach wären die Treulosigkeit von Männern und die Armut neben der sexuellen Arg- und Ahnungslosigkeit junger Dinger Ursachen für verzweifelte Aktionen bis hin zum Kindsmord.

Der Historiker weiß, daß dem nicht so ist und daß selbst heute, trotz guter Möglichkeiten der Verhütung, Geburtenregelung nicht einfach ist. Deren Wirklichkeit scheint mir in der Ausstellung zu kurz gekommen in Geschichte und Gegenwart: Wer, warum und wie. Dieser Mangel ist durch die Zuspitzung auf den Skandal Abtreibung und die Überbewertung theologischer und juristischer Bestimmungen zustandegekommen – die ja erst richtig greifen, wenn die Medizin die Reproduktionsvorgänge hinreichend erforscht, den Frauenleib zum öffentlichen Ort (Barbara Duden) gemacht hat. Und diese Transparenz des Körpers soll ja nun im Normfall durch die Transparenz der Seele noch ergänzt werden („Beratung“) ...

Neben dieser offiziellen Geschichte gibt es noch eine andere, die sich nicht in der Geldgier und dem Schmutz der Engelmacherei erschöpft und die in der Ausstellung unter anderem durch die Gartenlaubenpraxis eines agilen Schreiners vertreten ist. Welches waren die Schleichwege von Vernunft und Humanität und welche Personen haben sich auf ihnen betätigt? Man muß die weisen Frauen der frühen Neuzeit, Hebammen und Hexen, nicht romantisieren und ihre Fähigkeiten überschätzen, um ihnen einen gebührenden Platz im Frauennetzwerk einzuräumen. Aber auch Männer, Ärzte und Juristen wären zu erinnern. Ein interessanter Fall ist die juristische Abschwächung des Kindsmordes seit der Aufklärung. Kann es hingehen, daß der mütterliche Mord am Neugeborenen anders bewertet wird als ein anderer?

Auch die bürgerliche Frauenbewegung ist in der Bearbeitung des genuin weiblichen Dilemmas einseitig und moralistisch geblieben. Auch sie hat im §218 ein probates Mittel zur allgemeinen Beförderung des moralischen Zustands der Gesellschaft gesehen. Achtung Frauen! Die offizielle Geschichte der Abtreibung lehrt jedenfalls eines: Moral in Staatshand ist gräßlich.

„Unter anderen Umständen. Zur Geschichte der Abtreibung“. Deutsches Hygiene-Museum, Lingnerplatz 1, Dresden, bis zum 31. Dezember. Katalog: 24 DM.

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