■ Interview mit Azmi Bishara zur Lage in Nahost
: „Ich sehe Arafat nicht in Jerusalem“

taz: Sie gehören zu den Nachfahren der Palästinenser, die 1948 nicht flüchteten. Welches Verhältnis hat die israelische Gesellschaft heute zu den Palästinensern?

Azmi Bishara: Die israelische Gesellschaft ist meiner Meinung nach bereit, aus den besetzten Gebieten rauszugehen. Aber die Eliten entscheiden, in Israel wie überall sonst. Und wenn die wirtschaftliche, die militärische und die politische Elite deckungsgleich sind, dann ist es schlimmer. Bei ihnen gibt es keine Bereitschaft zu territorialen Konzessionen – außer mit Syrien. Weil sie Syrien für eine Bedrohung halten, nicht aber die Palästinenser. Aber in der israelischen Gesellschaft ist eine psychische Lage entstanden, die den Rückzug möglich machen würde. Die Leute sind müde, besonders seit dem Golfkrieg. Die beste „Sicherheitsgrenze“ ist der Frieden. Das wissen die Leute. Aber solange sie die Besatzung von West Bank und Gaza-Streifen nichts kostet, gehen sie trotzdem nicht für den Frieden auf die Straße. Und sie werden böse, wirklich böse mit uns, wenn ein Soldat stirbt. Dann werden die Araber in den Straßen geschlagen. Sie wollen zwei Millionen Leute unter Besatzung halten, aber kein Soldat soll sterben.

Im Nahen Osten ist eine neue Situation entstanden. Es gab Krach zwischen den Sprechern der Palästinenser in den besetzten Gebieten und der PLO-Führung in Tunis, die jetzt sehr moderat auftritt. Womöglich will die israelische Regierung neuerdings doch direkt mit der PLO verhandeln.

Die Quelle dieser ganzen Verwicklung ist ein Defekt in der Struktur der Nahostverhandlungen. Die Palästinenser sind die einzige Seite, die nicht entscheiden durfte, wie sie vertreten wird. Für sie wurde entschieden. Es gab keine Großmacht, die in der Frage der Zusammensetzung ihrer Delegation nicht mitgemischt hätte. Die Delegierten, die ihre Sache gar nicht schlecht machen, konnten von den Palästinensern nicht als ihre Delegierten akzeptiert werden. Und dann gab es diesen Kompromiß mit der PLO, daß die Delegation die besetzten Gebiete vertreten kann, weil sie von der PLO selbst legitimiert ist.

Damit kommen wir zum zweiten Defekt. Die PLO soll Legitimation geben, ohne legitimiert zu werden. Dafür wird sie instrumentalisiert. Die USA, Israel und zum Teil auch Ägypten wußten genau, daß es unmöglich sein würde, ohne Zustimmung der PLO eine palästinensische Delegation zu formieren. Die PLO soll die Delegation handlungsfähig machen, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Um diese Aufgabe beneide ich Arafat nicht. Irgendwann, wenn diese Übergangsphase durch ihn legitimiert ist, wird man fragen, wer ist Arafat? Und damit sind wir beim dritten Problem in der Struktur der Verhandlungen. Die PLO muß permanent beweisen, wie moderat sie ist, um beteiligt zu bleiben. Bis man ihre wirkliche Position nicht mehr erkennen kann. Die Delegation muß hingegen zeigen, wie nationalistisch sie ist, um sich auf der palästinensischen Straße zu legitimieren. Eben weil ihre Zusammensetzung nicht von den Palästinensern beschlossen wurde. Wir haben also einen Mechanismus, der die palästinensischen Beteiligten in eine ganz unwirkliche Lage bringt. Und für die PLO ist das jetzt umgeschlagen. Sie erscheint unglaubwürdig: Was wollen sie eigentlich für die Palästinenser erreichen, heißt es, wollen sie nun einen Staat oder nicht? Ist die Autonomie das Ziel, verzichten wir auf Jerusalem, was ist los? Warum hat Arafat jetzt das amerikanische Dokument akzeptiert?

Das US-Positionspapier, das einen Kompromiß zwischen den Grundsatzerklärungen von Israelis und Palästinensern zur Autonomie herstellen sollte?

Ja. Sogar Peres selbst war überrascht von der totalen Identifikation der Amerikaner mit der israelischen Position. Zum Beispiel nicht mehr von „besetzten Gebieten“ zu sprechen, sondern von „umstrittenen Gebieten“. Die Leute, die jetzt unter Clinton zuständig sind, beziehen nicht einmal Labour-, sondern Likud-Positionen. Die palästinensische Delegation akzeptiert das natürlich nicht. Über solche Positionen kann man nicht verhandeln. Aber Arafat war in Ägypten und er wurde unter Druck gesetzt, natürlich auch mit Versprechungen, daß er dann reinkommt in die Gespräche.

Haben wir am Ende womöglich eine offiziell anerkannte PLO, aber nichts mehr, worüber sie verhandeln könnte?

Das könnte sein.

Geht es dabei um die Sperrung von Geldern aus den Golfstaaten, deren Weiterfließen garantiert wird, wenn die PLO sich jetzt israelischer gibt als die Israelis?

Das auch. Aber natürlich geht das nicht alles bewußt vonstatten. Die Leute in der PLO glauben zum Teil, daß sie hier neue Strategien entwickeln. Das fängt wieder mit Madrid an. Für die PLO war es fatal, diese ganzen israelischen „Vorbedingungen“ zu akzeptieren. Damit hat man einen Rahmen akzeptiert, ohne UNO, ohne internationale Konferenz, ohne akzeptierte Interpretation der UN-Resolution 242 und 338 (über den israelischen Abzug aus [den] besetzten Gebieten), und die PLO ist raus, Jerusalem ist raus. Das waren die israelischen Bedingungen von Madrid. Die anschließende Geschichte der Verhandlungen war ein einziger Versuch, die Bedingungen zu revidieren. Und diese Versuche werden jetzt wirklich teuer. Es gibt natürlich Wege da raus, aber wenn man sie beschreiten will, braucht man andere Strukturen – und andere Denkweisen.

Woran denken Sie?

Es gibt viele Möglichkeiten, die noch nicht probiert wurden, wegen der bestehenden Strukturen. Die Intifada muß zu einem wirklichen Volksaufstand werden. Wir müssen es schaffen, nicht nur die jungen Leute, sondern wirklich die Massen auf die Straße zu kriegen. Das sind Methoden, die im Iran und in Algerien ausprobiert wurden – mit viel Erfolg. Bei uns wurde das nicht versucht. Bei uns wurde ein ganz anderes Modell von Intifada entwickelt, dessen schwache Punkte allmählich sichtbar werden: vor allem diese langen Streiks, die unsere Wirtschaft zerstört haben. Wir haben eine dauernde Konfrontation mit der israelischen Armee, aber wir kriegen die Menschen nicht alle auf die Straße. Außerdem gibt es eine Spaltung zwischen politischen Sprechern und lokaler Führung. Aber Arafat in Jerusalem? Das sehe ich nicht. Schade, sonst würde ich diese Politik vielleicht ein bißchen besser verstehen. Je mehr Konzessionen er macht, desto weniger Grund haben sie, ihn ernst zu nehmen. Die israelische Regierung redet ja längst mit der PLO und holen sich in Tunis, was sie brauchen. Aber ohne offizielle Anerkennung, ohne Kameras, ohne sie diplomatisch zu akzeptieren. Man redet, aber im Hinterzimmer. Interview: Nina Corsten

Azmi Bishara ist Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit, lehrt Philosophie an der Universität Bir Zeit (West Bank); ist derzeit in Berlin am Wissenschaftscolleg.