Zwischen Aufbegehren und Dornröschenschlaf

■ Tschechische Frauen wie Jirina Šiklová entwickeln eigene feministische Ansätze

Jirina Šiklová hastet zwischen der Küche und einem Zimmer hin und her, das zugleich als Wohnraum, Bibliothek der Frauenforschung und Seminarraum dient. Das Telefon klingelt ununterbrochen. Statt Antworten gibt die Leiterin des Fachbereichs für angewandte Soziologie an der Karlsuniversität Prag lieber Kopien ihrer Artikel heraus. Die von Terminen schier erdrückte Soziologin hat nicht die geringste Lust, sich von einer ihrer Meinung nach besserwisserischen westlichen Feministin die kostbare Zeit stehlen zu lassen. Zu oft hat sie beobachten müssen, daß die Westfrauen ohne Kenntnis der spezifischen Situation vor Ort ihre West-Konzepte den mehr als vierzig Jahre unter zwangsverordneter Gleichberechtigung lebenden tschechischen Frauen überstülpen wollten. Die Šiklová protestiert jedoch gegen die Übernahme der alten wie der neuen Parolen. Sie setzt auf Information und die positive Wirkung einer Multiplikatorenfunktion. „Unsere Frauen denken doch bei dem Wort ,Frauenbewegung‘ noch immer an den Kommunistischen Frauenverband, der eine verlängerte Hand des alten Regimes war und noch immer besteht. Wir müssen ihnen klarmachen, daß es uns um ganz andere Themen und Ziele geht.“

Eine schwierige Aufgabe: behindert wird die ehemalige Dissidentin, die Anfang der achtziger Jahre für ihre Untergrundarbeit und ihre Überzeugungen zwei Jahre im Gefängnis verbracht hatte, zudem noch von aus dem Exil zurückgekehrten Männern wie dem Schriftsteller Josef Škvorecký. Der startete unbeabsichtigt im vergangenen Jahr eine große Feminismusdiskussion in der Zeitung Reflex, indem er Feministinnen generell als Horde männerhassender Amazonen darstellte. In Leserbriefen hielt die Šiklová dagegen, stellte das verzerrte Bild richtig.

Ein anderer Ansatz ist ihr Projekt, die westlichen feministischen Positionen übersetzt als Sammelband herauszubringen, damit die Tschechinnen nicht weiterhin die auch in der ČR gestellten Forderungen für Ausgeburten kruder Hirne halten. Einem ähnlichen Ziel dienen auch die von ihrem „Zentrum für Geschlechterforschung“ vorbereiteten Fernsehdiskussionen. „Die Themen waren heikel“, sagt sie. „Bei der ersten Diskussion hatten wir auch Exiltschechinnen wie Alena Wagnerová eingeladen, die die westlichen Standpunkte vertraten. Nach der zweiten Diskussion zum Thema Gewalt gegen Frauen wurden wir verunglimpft, daß die von uns beschriebenen Angriffe sich ausschließlich gegen Frauen der damaligen Bürgerbewegung gerichtet hätten. Keine der Frauen auf dem Podium gehörte jedoch jemals der Bürgerbewegung an.“

Ein schwerer Stand für die 58jährige, die erst 1989 zur wissenschaftlichen Arbeit zurückkehren konnte. Doch Optimismus scheint neben einem sehr kritischen Geist zu ihren Haupteigenschaften zu gehören. Auch wenn sie eine Lanze für die Tschechinnen bricht, die niemals die Möglichkeit hatten, zwischen Berufstätigkeit und Hausfrauendasein wählen zu können, ist sie doch entschiedene Gegnerin des neuen verlängerten Mutterschaftsurlaubs, der als Gesetzesvorlage geplant ist. „Damit schneiden sich die Frauen ins eigene Fleisch, denn sie lassen sich nur ausbooten in bezug auf den Arbeitsalltag und die auch hier einsetzende Einarbeitung in neue Technologien. Die Mutterschaftspause leistet dem neuen Trend Vorschub, die Frauen auch hier aus der Berufstätigkeit herauszudrängen.“ Genauso leidenschaftlich argumentiert sie gegen eine neue Zensur, gegen ein Verbot der in Tschechien den Pressemarkt überflutenden Sexpublikationen. Ihrer Ansicht nach fördern Verbote nur die Verbreitung der Schmuddelhefte. Im Gegenteil, kürzlich veröffentlichte sie selbst einen Artikel über Frauenrechtlerin Betty Friedan in der tschechischen Ausgabe des Playboy.

Unabhängigkeit, sowohl von politischen Parteien als auch von Staatsgeldern, ist ihr wichtig. Ihr „Zentrum für Geschlechterforschung“ wird von der Hamburger Frauenanstiftung finanziert. Sie erhofft sich durch die Zusammenarbeit mit den Westfrauen eine gemeinsame Basis. „Erst in einer gemeinsamen Diskussion könnte etwas Neues, eine realistische Perspektive für unsere gegenwärtige Gesellschaft entstehen.“ Andrea Krüger