„Es geht um Milliarden, die da in den Lüften fliegen“

■ Interview mit Steffen Bathke, Produkt-Chef von Unger Flugreisen in Berlin

taz: Wie steht es nach den wiederholten Pleiten zu Lasten der Verbraucher um die Seriosität der Reisebranche?

Steffen Bathke: Die seriösen Veranstalter warnen schon seit längerem vor neuen Veranstaltern, die mit sensationell günstigen Preisen den Markt in Unruhe bringen. Die Branche hatte schon lange vor der MP Travel Line gewarnt und nachgewiesen, daß deren Preise jeglicher Kalkulation entbehren. Der Reisemarkt ist ein boomendes Geschäft, und viele drängen auf den Markt, um die schnelle Mark zu machen, ohne ausreichendes kaufmännisches Know-how oder eine Kapitaldecke.

Dumpingpreise sind aber längst Normalität auf dem Reisemarkt.

Dumpingpreise sind normal – speziell im Rahmen von Last-minute-Angeboten, bei denen Überkapazitäten kurzfristig als Sonderangebotsreisen vertrieben werden. So wurde zum Beispiel in falscher Hoffnung auf den ostdeutschen Markt viel Überkapazität geschaffen. Dieses Jahr läuft eine starke Bereinigung des Marktes, wo die Großen sich durchsetzen. Es gibt harte Konkurrenz innerhalb der etablierten Großveranstalter. Es springen auch jüngere Veranstalter oder westdeutsche Veranstalter nach Berlin, die vorher nicht Berlin-Reisen angeboten haben. Und da wird natürlich auch über billige Preise ein gewisser Verdrängungswettbewerb betrieben, wo sich die stärkeren Veranstalter durchsetzen werden. Kleinere Veranstalter wie MP, Wintours, wie M-Tours Anfang des Jahres oder jetzt das Unternehmen in Hamburg fallen durch den Rost.

Wie kann sich der Verbraucher schützen?

Bei einem günstigen Reisepreis sollte man besser nicht direkt beim Veranstalter einkaufen, sondern sich im Reisebüro beraten lassen, Informationen einholen über Seriosität und Erfahrungen mit dem Veranstalter.

Läge es nicht längst im Interesse der Branche, daß die verbraucherfreundliche EG-Reiserichtlinie zur Insolvenz-Absicherung deutsches Reiserecht würde?

Wenn es sich verwaltungstechnisch einfach lösen läßt, spricht eigentlich nichts dagegen, weil auch mal größere Unternehmen ins Schlingern geraten können; zum Beispiel Laker Airways, Laker Holidays und verschiedene Fluggesellschaften. Es wäre nicht falsch, den Kunden dahingehend abzusichern, daß er über einen kleinen Betrag im Reisepreis eine Garantie zur Rückbeförderung erhält.

Warum wurde bisher nicht ratifiziert?

Weil die maßgeblichen Veranstalter, die dieses in Bewegung setzen könnten, die Notwendigkeit bisher nicht sahen. Ein seriöses Veranstalterwesen beinhaltet ohnehin kaufmännische Kalkulationen und vernünftige Programmplanung und -gestaltung. Probleme entstehen nur durch unseriöse Unternehmen. Die Großen fühlen sich durch ihre kaufmännische Kalkulation und ihre Kapitaldecke vor Vorfällen wie bei der MP Travel Line sicher. Das Problem wäre ganz einfach zu lösen, wenn sich die Fluggesellschaften jeweils im voraus die nächsten drei Flüge bezahlen ließen. Dann ist es eine Sache der Airlines, das Risiko bei ihrem Veranstalter abzuschätzen und zu sagen, bei dem brauche ich es, bei dem brauche ich es nicht.

Es geht darum, eine Lösung für die Branche zu finden. Warum zeigt sich die Branche uneinsichtig, für einen Betrag von 3,80 Mark die Kunden zu versichern?

Man könnte es machen. Das wäre eine Diskussion mit den Versicherungen. Man kann sich beim Reisen jetzt schon gegen alles versichern lassen – warum nicht auch für die Rückholung. Man ist sich eben über die Beträge noch nicht einig. Es geht ja um Milliarden, die da in die Lüfte fliegen.

Ist in der Reisebranche eine Rezession zu spüren?

Nein, ich sehe positiv in die Zukunft. Interview: Edith Kresta