Yanomami – ein Volk ohne Schutz

Das Massaker an Indianern an der Grenze zu Venezuela schlägt hohe Wellen / Ein ganzes Dorf wurde ausgerottet / Generalstaatsanwalt Junqueiras spricht von Völkermord  ■ Aus Rio Astrid Prange

Das Massaker an den Yanomami-Indianern an der brasilianisch- venezolanischen Grenze nimmt immer größere Ausmaße an. Nicht 17, sondern vermutlich 40 Ureinwohner wurden von Goldsuchern in dem Reservat im brasilianischen Bundesstaat Roraima umgebracht. „Praktisch das ganze Dorf wurde ausgerottet“, erklärte der Chef der Indianerschutzbehörde „Funai“ für Roraima, Suami Santos, der am Donnerstag zusammen mit Vertretern der Bundespolizei das Gebiet auf der Suche nach Leichen abflog. Die genaue Anzahl der Toten läßt sich nicht bestimmen, denn einige Leichen wurden verbrannt, wie es bei den Yanomami Sitte ist, und andere befanden sich bereits im Stadion fortgeschrittener Verwesung.

Bei dem Verbrechen in der Siedlung Hoximu, das sich nach neuesten Erkenntnissen bereits am vergangenen Wochenende ereignete, handelt es sich vermutlich um einen Vergeltungsschlag: Yanomamis, die der venezuelanischen Nationalgarde angehören und die Grenze bewachen, sollen zuvor angeblich drei Goldgräber erschossen haben. Bis jetzt ist jedoch der Mord an den Goldgräbern weder von brasilianischer noch venezolanischer Seite offiziell bestätigt worden. An der Ermordung der Yanomami waren 15 Goldsucher („Garimpeiros“) beteiligt. Unter dem Vorwand, Reis und Zucker anzubieten, lockten sie vier Yanomami-Männer in den Wald und erschossen sie aus dem Hinterhalt. Zwei Indianern gelang die Flucht; danach stürmten die Garimpeiros die Siedlung, brachten Frauen und Kinder mit der Machete um und zündeten anschließend die Gemeinschaftshütte der Indios an. Die Mörder sollen nach Venezuela geflüchtet sein.

Brasiliens Generalstaatsanwalt Aristides Junqueira bezeichnete das Massaker an den Yanomami als Völkermord. „Seit 1975 sind bereits über tausend Yanomami umgebracht worden. Ich habe keinen Zweifel mehr, daß es sich hierbei um einen Genozid handelt“, erklärte Junqueira, der sich am Donnerstag zusammen mit Justizminister Mauricio Correa ins Reservat der Yanomami aufmachte. Kategorisch schob er die heftigen Interessenkonflikte zwischen den Rechten der Ureinwohner Brasiliens und der wirtschaftlichen Ausbeutung ihrer Lebensräume beiseite: „Das menschliche Leben ist mehr wert als reiche Rohstoffvorkommen.“ Er persönlich werde sich dafür einsetzen, daß die Abgrenzung von Indianerreservaten nicht zum Erliegen komme.

Angesichts der mächtigen Goldgräberlobby und der Gleichgültigkeit der brasilianischen Bevölkerung gegenüber den Ureinwohnern ist dies eine Mammutaufgabe. Die Gouverneure der drei Amazonasstaaten Amazonas, Roraima und Para sowie die brasilianischen Streitkräfte sind sich einig: Das 94.000 Quadratkilometer große Yanomamireservat ist „viel zu groß“ für die rund 9.000 Indianer. Roraimas Gouverneur Ottomar Pinto bat Justizminister Correa bereits im vergangenen Juni schriftlich, dem „Sektierertum der Funai-Anthropologen und ihrer Indianer-Paranoia“ ein Ende zu bereiten. Auch Brasiliens Heeresminister General Zenildo de Lucena legte ein Wort für die Garimpeiros ein: Sie seien brasilianische Staatsbürger und verdienten eine respektvolle Behandlung. Die Bevölkerung von Roraima hätte schon der Abgrenzung des Yanomami-Reservats zugestimmt und nun sollen auch noch die Macuxi- Indianer ein Gebiet im selben Bundesstaat zugeteilt bekommen.

Tatsache ist, daß von den insgesamt 895.000 Quadratkilometern, die in Brasilien als traditionelle Lebensräume der Indianer gelten, erst 560.000 als Reservate ausgewiesen sind. Die brasilianische Verfassung schreibt aber vor, daß bis zum 5.Oktober alle 238 Indianergebiete abgegrenzt und markiert werden müssen. Die brasilianische Regierung räumte bereits am 29.Juli bei einer UNO-Versammlung in Genf ein, daß „noch viel getan werden muß, um die Auflagen der Verfassung zu erfüllen.“ Nicht nur, daß es an Geld für die Markierung der Indianerreserven und die anschließende Zugangskontrolle mangele: „Der Andrang der Goldgräber in die Indianerreservate wird erst nachlassen, wenn die Wirtschaft wieder wächst, und die Millionen von Arbeitslosen wieder in den Produktionsprozeß eingegliedert werden.“ Und das hänge von der Entwicklung der Weltwirtschaft ab.

Die Lobby der Goldgräber versucht, dem Problem auf ihre Art und Weise gerecht zu werden. Statt die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen, wollen sie einfach die Verfassung ändern. Bei der im Oktober anstehenden Verfassungsrevision will die „Goldfraktion“ die Klausel, wonach zehn Prozent des brasilianischen Territoriums den Ureinwohnern vorbehalten werden sollen, nach unten revidieren. Mit dem Massaker an den Yanomami- Indianern aber hat die Diskussion um dieses Thema eine neue Wendung erfahren, die auch die Stimmung im brasilianischen Kongreß zugunsten der Indios verändern könnte.