Orwo-Werke: Strukturpolitik auf der Altlast

■ In Wolfen wurde eine neue Gesellschaft für ökologische Sanierung gegründet

Berlin (taz) – Arbeitsplätze waren bisher wichtiger als die Umwelt. In der Bitterfelder Chemieregion hat eine sogenannte „Qualifizierungs- und Projektierungsgesellschaft“ mit ABM-Geldern Arbeitslose in Lohn und Brot gesetzt. Erfolglos, die Fördermittel laufen aus, kaum jemand hat den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt geschaft. Allein in den Orwo-Werken, dem ehemaligen fotochemischen Kombinat Wolfen, stehen im August wieder 2.500 Menschen auf der Straße, die bislang als ABM-Kräfte beschäftigt waren. Ihnen will nun eine neue „Gesellschaft für ökologische Sanierungsmaßnahmen Wolfen-Thalheim“ (GÖS) weiterhelfen.

Aber nicht nur ihnen. Denn eine Einsicht ist inzwischen herangreift, die kurz nach der Wende wenig entwickelt war: Arbeitsplätze können dauerhaft nur entstehen, wenn wenigstens die schlimmsten Altlasten der Vergangenheit beseitigt sind. Die GÖS will deshalb keine Beschäftigungsgesellschaft sein. Sie betreibt Strukturpolitik. Der alte Stammsitz der Agfa soll ein „Industriepark“ werden, so lautet das Ziel des Programms.

Schon jetzt haben sich etwa 120 Klein- und Kleinstunternehmen auf dem Werksgelände angesiedelt. Sie bieten Dienstleistungen aller Art an, leitende Angestellte betreiben ihre alten Abteilungen weiter („Management-Buy-Out“) und auch etliche Umweltberater vermarkten ökologischen Sachverstand, den sie an Ort und Stelle gewonnen haben. Keines dieser Unternehmen alleine könnte jedoch die Orwo-Werke retten, auch nicht die rechtlich ausgegliederte Filmfabrik. Seit Wochen verhandelt die Treuhandanstalt mit einem internationalen Konsortium über einen Privatisierungsvertrag. Kommt er nicht zustande, sieht die Sanierungsgesellschaft ihr eigenes Projekt gefährdet. Denn noch bindet die Filmproduktion qualifizierte Arbeitskräfte. Wenn sie abwandern, werden neue Investoren ausbleiben, fürchtet GÖS-Geschäftsführer Wolf-Dieter Wenzel.

Nachgefragt wird das Know- how aus der DDR schon heute kaum. Investoren bauen neue Fabriken lieber auf der grünen Wiese für Arbeitskräfte ohne feste Berufsbilder. Mit 780 Millionen Mark versucht die GÖS, diesen Prozeß zu stoppen. In fünf Jahren sollen große Teile des Orwo-Geländes baureif angeboten werden können. Großinvestoren, unter anderem aus der Papierbranche, haben bereits Interesse bekundet. „Leute, die ihren alten Arbeitsplatz genau kennen“, so der GÖS- Geschäftsführer, sollen nun Maschinen demontieren, Chemikalien entsorgen, Gebäude instand setzen oder abreißen.

Finanziert wird das Programm aus Geldern des Landes Sachsen- Anhalt und der Bundesanstalt für Arbeit. Dauerarbeitsplätze werden dadurch nicht geschaffen. Planmäßig soll die Zahl der Beschäftigten von maximal 2.983 im nächsten Jahr auf 2.174 in 1997 sinken. Geschäftsführer Wenzel setzt jedoch auf ökologische Dauererfolge. Pläne für sanfte Techniken und Ressourcen-schonende Produktionsmethoden liegen in den Schubladen ehemaliger Orwo-Ingenieure, weder Treuhandanstalt noch das neue Bundesland hat sich bisher dafür interessiert. Gerade dieses Know-how könnte sich als Standortvorteil erweisen.

Ökologisch ist die Altlast von Wolfen durchaus beherrschbar. Bodenuntersuchungen haben ergeben, daß nur fünf Prozent des Geländes saniert werden müssen, die GÖS will nun geeignete Methoden dafür erarbeiten. Belastet ist der Boden vor allem mit Salzen und Schwermetallen, Dioxine wurden bisher nicht gefunden. Niklaus Hablützel