Die Front der Kali-Kumpel bröckelt

■ Betriebsratsvorsitzender Brodhun drängt auf Streikabbruch und droht mit Rücktritt / Kumpel wollen weiterhungern / Kompromiß mit dem Eigentümer oder harte Konfrontation?

Berlin (dpa/AFP/taz) – Rote Fahnen wehten am Wochenende vor der roten Abraumhalde von Bischofferode. Auf Klapptischen wurden Leninbroschüren und Arbeiterliteratur angeboten. Der Betriebsratschef der von der Schließung bedrohten Kali-Grube, Heiner Brodhun, ließ sich bei den fast 3.000 aus allen Teilen der Republik angereisten Leuten nicht blicken. Gestern erklärte er, daß er sich bis zum Wochenende entscheiden wolle, ob er sein Amt niederlegt. „Hobby-Terrorismus“ und die Agitation „Berliner Gruppen“ seien seine Sache nicht – er habe stets für den Erhalt der Arbeitsplätze in seiner Kali-Grube gekämpft und wolle sich nicht vor einen großpolitischen Wagen spannen lassen.

Aber nicht nur von den unerwünschten Solidaritätsbekundungen fühlt sich der 46jährige enttäuscht. Auch im Betriebsrat selbst gibt es massive Konflikte über die Frage der künftigen Linie – radikal auf der eigenen Position beharren oder mit dem Gegner Kompromisse suchen. Der Katholik und CDU-Mann Brodhun ist für die weichere Gangart: Als die Mitteldeutsche Kali AG (MdK) letzte Woche ein Ultimatum stellte, entweder den Arbeitskampf zu beenden oder die Grube sofort zu schließen, antwortete er mit einem Kompromißvorschlag. Der MdK- Vorstand willigte ein, daß zunächst weiterproduziert werden kann – dafür dürfen die Herren aus der Chefetage jetzt wieder auf das Gelände der Grube, während Werksfremde keinen Zutritt mehr erhalten sollen. Als „Verräter“ beschimpften ihn einige ArbeitskollegInnen daraufhin, und im Betriebsrat wurde die Absprache nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von acht der fünfzehn Mitglieder gebilligt.

Bei der hungerstreikenden Basis in der Kantine ist Brodhuns Position verpönt. Die 15 Männer und fünf Frauen, die dort auf ihren Pritschen ausharren, ließen den Betriebsratschef am letzten Freitag auflaufen, als er einen Abbruch des Hungerstreiks vorschlug. „Es hätte jetzt, nach der EG-Entscheidung über die Prüfung des Fusionsvertrags, keinen günstigeren Zeitpunkt geben können, den Hungerstreik zu beenden, ohne das Gesicht zu verlieren“, meint Brodhun. Bis zum Votum aus Brüssel würden schließlich noch einige Monate vergehen; Krankheiten, vielleicht noch Schlimmeres seien dann nicht auszuschließen. Aber auch seine Befürchtung, daß die großen Düngemittel- und Kaliumsulfathersteller ihre Bestellungen künftig woanders aufgeben könnten, weil ihnen die Lieferungen aus Bischofferode wegen des Arbeitskampfes zu unsicher würden, beeindruckten die Kumpel nicht. Sie wollen bleiben, wo sie sind – und weiterfasten, bis sie eine feste Zusage für den Erhalt der Grube haben.

Brodhuns Stellvertreter Gerhard Jüttemann ist sauer auf seinen Betriebsratschef, weil der seine Rücktrittsabsichten zunächst der Presse und dann erst seinen Kollegen verkündet hatte. Aber auch inhaltlich ist er nicht dessen Meinung. „Ich glaube nicht, daß man versucht, unseren Kampf zu mißbrauchen“, sagte er am Wochenende. Und so trat er denn auch beim Aktionstag hinters Rednerpult und rief der Menge zu: Bischofferode muß „zum Beginn einer Bewegung werden, die den Arbeitsplatzvernichtern auf die Füße tritt“. Lauter Jubel erhob sich auf dem zum Versammlungsplatz umfunktionierten Busbahnhof, wo neben den Ständen von PDS, einer türkischen Arbeiterföderation und verschiedenen maoistischen und marxistisch-leninistischen Gruppen auch Würstchen- und Bierbuden aufgebaut worden waren.

Gestern nachmittag sollte Betriebsratschef Brodhun in einer Krisensitzung seine Position darstellen. Einen Rücktritt wollen auch seine Gegner im Betriebsrat möglichst verhindern – sie fürchten, daß der Arbeitskampf in der ostdeutschen Kaligrube durch einen offenen Bruch an Kraft verliert. Gewinnen dabei könnte dabei nur die westdeutsche Kali und Salz AG. aje