■ Die Vereinten Nationen und ihr Unterhaltungswert
: Im Zirkus tödlicher Belustigungen

Name: Organisation der Vereinten Nationen. Geboren am 24.10.1945. Hauptaufgabe: die Sicherung des internationalen Friedens, der freundschaftlichen Verhältnisse und Zusammenarbeit der Völker. Im Gründungsjahr hatte die UNO 51 Mitgliedsstaaten, heute sind es 183.

Die Mehrheit der Mitglieder zahlt regelmäßig die Beiträge für die Arbeit der UNO und ihrer Agenturen. Dank dieser Tatsache ist die UNO in der Lage, den wichtigsten Programmpunkt ihres Statuts zu erfüllen – hohe Gehälter für die Mitwirkenden der Zirkusvorstellungen zur Belustigung der internationalen Öffentlichkeit. Doch vereinzelte Artisten der UNO lesen manchmal unvermittelt in der Öffentlichkeit völlig bedeutungslose Passagen des Statuts vor, wie zum Beispiel jene über das Selbstbestimmungsrecht der Völker. In solchen Augenblicken entsteht Verwirrung. Es drohen allgemeine Trauer und Massenproteste des unzufriedenen Publikums.

Solch ein Mißgeschick geschah im Mai 1992. Die UNO nahm aus Versehen Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien in die Reihe der Mitgliedsstaaten auf. Damit war der Staat Jugoslawien abgeschafft, eines der Gründungsmitglieder der UNO. Diese Unvorsichtigkeit wäre nicht weiter tragisch gewesen, wenn der erwähnte Schachzug nicht zur Beendigung der Vorstellung „Das Schlachthaus auf dem Balkan“ beizutragen drohte, eine der meistgesehenen und bedeutendsten Produktionen der Firma UNO. Doch zum Glück schafften es die gewissenhaften Funktionäre der UNO, noch vor den Protesten des unzufriedenen Publikums und nach einer nur kurzen Unterbrechung den Krieg auf dem Balkan zu verlängern. Neue Charaktere wurden eingeführt, mit denen die Spannung und Ungewißheit neue Höhepunkte erreichte. Mit Kämpfen aller gegen alle sorgte man für ausreichende Mengen an Blut, Finsternis, Verbrechen, Angst...

Indem jeder Mitwirkende des Programms, das den Titel trägt: „Bosnien gehört demjenigen, der es erobert und ausraubt, über Kroatien und Slowenien unterhalten wir uns noch“, mit 300 Gramm Nahrung versorgt wird, beweist die Mehrheit der einflußreichen UNO-Mitglieder mal wieder, daß ihnen die Wünsche des Publikums heilig sind. Wegen der fortbestehenden Gefahr, daß aus purer Unvernunft neue Fehler begangen werden, wäre es daher das beste, die UNO sofort abzuschaffen und eine neue internationale Assoziation zu gründen. Das wäre auf jeden Fall einfacher, als das Statut und die Programme der Aufführungen der Firma UNO zu ändern. Gut, die Dekoration im Hauptsaal würde darunter etwas leiden, und auch die Gesamteinnahmen wären etwas geringer. Aber dies wäre immer noch besser, als die ständige Gefahr einer unerträglichen Langeweile und die drohende Abschaffung der direkten Radio- und Fernsehübertragungen von fremdem Schmerz und Leid. Ohne dieses ist die Existenz der modernen Zivilisation sinnlos. Zudem blieben viele Gruppen und auch einzelne ohne einträgliche Umsätze. Zwar funktioniert die UNO immer noch erfolgreich, aber was passiert, wenn die Großmächte und die bewußten einzelnen ihre Macht verlieren? Wenn auf offener Szene weiterhin Bestimmungen des Statuts vorgetragen werden, durch jene, die mit ihrem Plädoyer für Langeweile sorgen, Unzufriedenheit und Panik erzeugen?

Natürlich denken Sie genauso darüber. Sie waren sich schon immer bewußt, daß es mit vereinten Kräften möglich ist, die Unbequemen und den Fortschritt der Langeweile auszuschalten. Deshalb werden Sie vielleicht schon morgen im Stadtzentrum Demonstrationen organisieren und damit die Idee der endgültigen Abschaffung der UNO unterstützen. In Ihrem eigenen und im Interesse Ihrer Nachkommen. Vergessen Sie nicht Ihre heilige Pflicht, und erscheinen Sie im Stadtzentrum. Zlatan Čabaravdić

Ex-Redakteur von „Radio Sarajevo“, verließ anfang des Jahres seine Stadt und lebt seither in Berlin. Übersetzung: Ana Prokić