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Die Brötchen des Bäckers Von Claudia Kohlhase

Es gibt Gefühle, die sind wirklich neu! Hätte man die vor circa 100 Jahren seiner Großmutter erzählt, die wäre noch zerkrümelt vor Lachen.

Früher, ach früher: Da war noch alles schön und gut. Da stand man einfach auf, ging ins Badezimmer, wusch sich mit Waschlappen, rollte mit Deorollern, trank leichtherzig zig Tassen Kaffee, bis oben hin voll Koffein — und dann frühstückte man. Und zwar sozusagen immer das gleiche Brötchen.

Brötchen! Allein das Wort machte einen knusprig. Ein Brötchen war damals eine runde Sache: dicklich, bräunlich, mit Schlitz in der Mitte und mit Messer und Marmelade zu essen. Sonntags mit Schokoladestreuseln. Aber jetzt. Jetzt ist es mit uns so weit gekommen, daß wir uns morgens nicht mehr aus dem Haus trauen, weil an jeder Ecke ein Bäcker lauert. Und mit ihm circa 47 Brötchensorten. Was also sollen wir da? Übermannt von Sieben-, Sechs-, Fünf-, Vier-, Drei-, Zwei-, Einkornbrötchen die Flinte ins Mehrkorn werfen? Um Hilfe schreien? Brotberater fordern? Halt bei griffigen Brezeln oder knarzendem Schwarzbrot suchen? Zuflucht zum Croissant nehmen?

Ach, selbst der Verkäuferin ist ja nicht mehr zu helfen. Ratlos steht sie vor ihrem Brötchenberg und muß ihn doch abarbeiten. Also was ist das da für ein Brötchen unten links? Also das ist eins mit Haferflocken. Hm. Und daneben? Mit Curry. Mit Curry? Mit Curry! Och. Und daneben? Mit Nüssen. Mit Haselnüssen? Mit Paranüssen! Mit Paranüssen? Mit Paranüssen! Und daneben? Mit Mais. Mit Mais? Mit Mais! Och nö. Und das ganz hinten? Mit Pizza. Mit PIZZA? Naja, mit Tomaten, Käse und Schinken. Innen drin oder außen rum? Naja, der Schinken eher innen drin, und der Käse eher oben drauf, und dazwischen dann die Tomaten.

Die anderen Kunden werden langsam unruhig, jedoch: Hier geht Geduld vor geschmacklicher Entgleisung, und schließlich können alle nur dazulernen. Nachher sitzt man wieder allein zu Hause und hat lange an seiner Enttäuschung zu knabbern. Also tapfer weiter: Und daneben? Mit Kürbiskern. Mit Kürbiskern? Mit Kürbiskern. Och. Und daneben? Das ist unser Stracciatella-Brötchen! Das was? Na, Stracciatella eben, mit integrierten Schokostückchen! Och nö. Und daneben? Mit Zimt und Zucker. Au: Mit Zimt und Zucker? Gibt's die auch noch mit Milchreis?

Die Verkäuferin hat aber keine Lust aufs Scherzen und ist längst beleidigt; und ich finde langsam auch, ich sollte jetzt entscheidungslustiger werden. Auch piksen die Blicke im Nacken schon heftiger, obwohl sich neben mir eine Verständnisfraktion herausbildet, die die Brötchenfrage viel lieber der Gesellschaft stellen möchte.

Also auf zur letzten Runde: Und das ganz rechts? Das ist ohne alles. Ohne alles? Also nichts? Och. Ist ja doch ein bißchen wenig. Und daneben? Mit Sesam und Mandelkleie! Mit Mandelkleie? Wie die gegen Pickel? Jetzt reicht's ihr endlich, und sie gibt zu, auch nicht mehr jedes einzelne Brötchen von allen 47 Sorten mit Namen zu kennen.

Na, sage ich, im Endeffekt ist doch alles aus Mehl, und nehme zur Belohnung ein Stückchen Erdbeersahne. Noch in Tortenform. Aber wer weiß, wie lange.

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