Von Auschwitz über Sarajevo in die Freiheit

■ Die halbseitig gelähmte 67jährige Daniela Bagarić, einst KZ-Häftling in Auschwitz, wurde gestern aus der bosnischen Hauptstadt ausgeflogen.

Berlin (taz) — Daniela Bagarić ist eine von vielen. Nach über 16 Monaten Belagerung gehen Tausende von Menschen an Krücken, leiden Hunderttausende an Mangelernährung. Die meisten würden wohl die bosnische Hauptstadt lieber heute als morgen verlassen, könnten sie nur. Doch die UNO- Truppe, die auf das serbische Plazet angewiesen ist, und die bosnische Regierung lassen bisher nur Schwerstverletzte aus Sarajevo ausfliegen. Daß Daniela Bagarić gestern, hat sie denn auch nicht ihrem durchaus bejammernswerten Zustand zu verdanken. Die 67jährige Frau ist halbseitig gelähmt und stark gehbehindert, nachdem ihre Beine im letzten Winter nahezu abgefroren waren. Auf die Straße kann sie schon lange nicht mehr, eine Nachbarin bringt ihr täglich Wasser die zwei Treppen hoch.

Daß Daniela Bagarić ausfliegen durfte, hat sie dem Umstand zu verdanken, daß Sarajevo für sie nicht die erste Hölle ist. 1943 war die bosnische Kroatin nach Auschwitz deportiert worden. Nach 13 Monaten konnte sie das Konzentrationlager verlassen, weil im bayerischen Mittenwald Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie gebraucht wurden, nachdem man dort die Arbeiter an die Ostfront geworfen hatte. Bei Kriegsende wurde sie in die Tschechoslowakei entlassen.

Als Rupert Neudeck, Sprecher des Notärzte-Komitees Cap Anamur, die alte Frau Mitte August in Sarajevo aufsuchte, ging er davon aus, daß sie die Stadt gar nicht verlassen wolle. Das habe man ihm in Bonn so gesagt, berichtete er der taz. Doch die schwerbehinderte Frau habe ihm unmißverständlich klar gemacht, daß sie nichts wie raus wolle. Wortlos habe sie ihm ein Dokument des „Hygienischen Instituts der Waffen-SS und Polizei“ gezeigt: das Ergebnis einer Syphilisuntersuchung an Daniela Bagarić oder kurz „Nr. 58 165“, unterzeichnet von Dr. Mengele.

Daniela Bagarić habe Sarajevo mit dem Einverständnis der UNO- Truppen und der bosnischen Regierung aufgrund ihrer spezifischen Vergangenheit verlassen dürfen, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Bonn auf Anfrage der taz. Bislang seien nur Schwerstverletzte, insgesamt 67 Fälle, zuammen mit unmittelbaren Angehörigen ausgeflogen worden. Zusammen mit Daniela Bagarić — auch dies ist neu — seien zwei weitere Personen aus der bosnischen Hauptstadt herausgebracht worden, weil die zuständigen Behörden ihrer Einbürgerung in Deutschland bereits zugestimmt hätten, und ein Mann, der bereits 35 Jahre lang seinen ständigen Aufenthalt in Deutschland hatte und nach einem Besuch von Verwandten in Sarajevo dort festgesessen habe. thos