■ Driftete der Dampfer „Waratah“ jahrelang um die Antarktis?
: Das Schiff der Verdammten

Johannesburg (taz) – Zuletzt wurde die „Waratah“ mit ihren 92 Passagieren und 119 Besatzungsmitgliedern am 25. Juli 1909 nahe der Stadt East London vor der südafrikanischen Küste gesichtet.

Das Schiff, so die bislang gängige Erklärung für eines der ungelösten Mysterien der modernen Schiffahrt, müsse einer der riesigen Wellen zum Opfer gefallen sein, die Südafrikas Küste am Indischen Ozean in einen Schiffsfriedhof verwandelten. Aber David Willers, Chefredakteur der Tageszeitung Natal Witness, fand nach langen Recherchen eine andere Erklärung für das Schicksal der „Waratah“: Sie müsse monatelang, vielleicht jahrelang hilflos im Atlantik gedriftet sein; ein „Schiff der Verdammten“, das wie der sagenumwobene „Fliegende Holländer“ in dem mächtigen Strom gefangen war, der die Antarktis umrundet.

Willers Erklärung für die vergebliche Suche: Die Rettungsversuche fanden in der falschen Gegend des unendlichen Südatlantik statt. Nur eine einzige Spur wurde je von dem Dampfer gefunden: ein Rettungsring, der 1914 vor dem australischen Barriere-Riff auftauchte. Der 9.339 Tonnen große Dampfer, der von Australien nach London unterwegs war, war das fünfte Schiff mit dem Namen „Waratah“, das auf See verlorenging. Kein anderes Schiff erhielt je wieder den gleichen Namen.

1909 besaßen Schiffe noch keinen Funk, und so sorgte sich zunächst niemand, als die „Waratah“ am 30. Juli nicht wie erwartet in Kapstadt einlief. Sie war mit 862 Tonnen Mehl, 100 Tonnen Weizen, 1.000 geschlachteten Schafen, 1.050 Kisten Butter und 6.000 Kisten mit Kaninchen in Durban ausgelaufen – genug Nahrungsmittel, um Besatzung und Passagiere für 18 Monate zu versorgen.

1899 war die „Waikato“ vor Kapstadt ins Driften geraten. Erst nach 103 Tagen wurde sie in den Weiten des Ozeans im Südatlantik gefunden. So gaben weder Angehörige von Passagieren noch Schiffseigner zunächst die Hoffnung auf, als die „Waratah“ trotz aller Suche verschwunden blieb.

Die „Waratah“ gehörte zudem zu den modernsten Schiffen ihrer Zeit. Sie galt zwar nicht als völlig unsinkbar, aber als eines der sichersten. Wäre sie wirklich wegen einer der Riesenwellen vor Südafrikas Küste gekentert, so glaubt Willers, hätten mehr Wrackstücke auftauchen müssen. Seine Erklärung für die zweijährige vergebliche Suche im Südatlantik: Die Rettungsschiffe waren in der falschen Gegend unterwegs.

Ein Test mit Satellitenbojen Mitte der 70er Jahre zeigte, daß die „Waratah“ wahrscheinlich nicht nach Süden abtrieb, sondern im Algulhas-Strom vom Kap der Guten Hoffnung Richtung Kap Horn driftete – verloren und ohne Kontakt zur Außenwelt. Vielleicht, so spekuliert Willers, versuchte Kapitän Josiah Ilbury in einem verzweifelten Vabanque-Spiel, mit einigen Überlebenden in einem Rettungsboot die südamerikanische Küste zu erreichen. Die Reise auf der „Waratah“ sollte für den Seemann der letzte Trip vor dem Ruhestand sein. Willi Germund