Bauernland in Junkerhand

Ansichten eines alten Traktoristen  ■ Von Gabriele Goettle

Wunderbar sind die schattigen Alleen, besonders die kleinen, abseits liegenden, die oft noch ihr altes Kopfsteinpflaster haben. Mit der Geschwindigkeit einer Kutsche kann man dahinrumpeln, Goldfasane überqueren gemächlich die Fahrbahn, die Schwalben fliegen so nah an der Windschutzscheibe vorbei, daß jede Brustfeder zu erkennen ist. Auf den stillgelegten Flächen, rund um die Seen, schreiten wohlgenährte Störche auf und ab.

Hier in Mecklenburg führen solche Alleen nicht ins nächste Dorf, sondern zum nächsten Gut. So gesehen ist die Landschaft immer noch deutlich gezeichnet vom Feudalismus, vom großen Bauernlegen, bei dem sich der Adel in den Besitz riesiger Ländereien und der dazugehörenden menschlichen Arbeitskraft setzte. Das war zugleich der Beginn des großflächigen Anbaus von Getreide, der über 450 Jahre hinweg beibehalten und entsprechend modernisiert wurde. Modernisiert wurden auch die Techniken zur Hebung der Arbeitsmoral leibeigener Untertanen. Auf die „schwere Knute, deren Lederschnur Knoten enthält, mit der die Herren Pächter und Beamte die Leibeigenen zur Arbeit treiben ... von 1757, folgte der leichte Rohrstock. In einem Edikt des Herzogs von Mecklenburg heißt es 1802 zur Züchtigung: „... in keinem Falle sich der bisher gebräuchlichen Peitsche, sondern der dünnen Röhre zu bedienen, und höchstens 50 Hiebe zu geben, die in der Regel aufs Hemd vollstreckt werden, mithin Weiber und andere schwache Personen nicht weiter entkleiden zu lassen, als nötig ist, ihnen die Strafe zweckmäßig fühlbar zu machen.“ Erst 20 Jahre später wurde in Mecklenburg die Leibeigenschaft per Gesetz aufgehoben, wobei sie inoffiziell bis 1918 weiterbestand auf vielen Gütern.

Um auf die schattigen Alleen zurückzukommen: Die Güter, zu denen sie heute führen, waren 40 Jahre volkseigen. Sie sind damit Bestandteil der durch die Treuhandanstalt zu privatisierenden Liegenschaften. Hier und da versuchen verzweifelte LPGler sich als genossenschaftlich auftretende Kollektive in die Marktwirtschaft hinüberzuretten. Aber Kapitalmangel, kurze Pachtverträge und viele andere Auflagen und Beschränkungen scheinen solche Versuche von vorneherein zu vereiteln. Für diesen Moment stehen – vor allen anderen Interessenten – die adligen Alteigentümer mit rettenden Konzepten bereit, versprechen Arbeitsplätze und Infrastruktur. Die Tatsache, daß mit Hilfe der Treuhandanstalt ein Junker nach dem anderen auf seinen ehemaligen Besitz in Brandenburg oder Mecklenburg zurückkehrt, ist wie eine Verhöhnung von Einigungsvertrag und allerhöchstem Richterspruch.

In Großenluckow, das, etwas abseits zwischen Waren und Teterow liegt, sind die Dinge noch in der Schwebe. Jedenfalls bezüglich der Gutsherrenschaft. Anderes ist klar. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte ist hier, wie überall, in den neuen Bundesländern, von Arbeitslosigkeit betroffen. Viele der Jugendlichen sind in den Westen abgewandert, oder auch ins Ausland. Der Ort macht einen ziemlich melancholischen Eindruck, mit seinen kleinen, über alle Maßen gepflegten Eigenheimen, den älteren Blocks und Reihenhäusern, der Busstation, den menschenleeren Straßen.

Etwas entfernt vom Zentrum liegt das Gut. Am Eingangshaus zum Wirtschaftshof verwittert auf der Fassade die Parole: „Unser Dorf, unser Zuhause“. Im Hof stehen mehrere neue und ältere Traktoren der Marke „Fortschritt“. Die großen Stallungen, Wirtschaftsgebäude und Scheunen sind geschlossen. Keine Kuh ist zu hören, kein Huhn ist zu sehen, kein Hund bellt. Weiter hinten steht eines jener LPG-typischen langgestreckten Gebäude, aus Betonplatten zusammengefügt, rundum vollkommen schmucklos, heute Unterkunft für Asylbewerber. Gerade tritt ein makelloser junger Mann aus der Tür und grüßt lächelnd. Wir kommen ins Gespräch. Er ist Kurde, Mitte Zwanzig, und wartet seit achtzehn Monaten auf seinen Entscheid.

Nebenan dann das gut erhaltene Herrenhaus, ein zweistöckiges Gebäude mit Flachdach, dem englischen Tudorstil nachempfunden. Ringsum ein englischer Park mit schönen alten Bäumen. Alles wirkt verlassen, ein wenig überwachsen. Hier lebte bis 1945 der Bruder Ago von Maltzans mit Frau und Tochter. Ago von Maltzan, Freiherr zu Wartenberg und Penzlin, Diplomat, Urheber des Rapallo-Vertrages, Botschafter des Deutschen Reiches in Washington und 1927 bei einem Flugzeugabsturz umgekommen, liegt hier auf dem Gut begraben. Neben ihm der Bruder mit Frau und Tochter. Die Tochter Ago von Maltzans heiratete in den Krupp-Clan ein und wurde eine von Halbach.

Ganz anders als das Leben von Krautjunkern und Schlotbaronen verlief das Leben jenes alten Mannes, der unweit vom Gut auf den Stufen vor seinem Haus sitzt und raucht. Das Vorgärtchen ist leicht verwildert, aber in den großen gelben Rosen wälzen sich die Bienen und Hummeln in Blütenstaub und Nektar. Ihr Summen und Brummen untermalt den Bericht:

„Hier auf dem Gut bin ich aufgewachsen, gearbeitet mein Leben lang hab ich auf dem Gut, unterm Baron und unter den VEG-Leitern. Die Eltern haben schon hier gearbeitet, die Mutter als Magd, der Vater als Melker.

Meine Frau hab ich 50 hier kennengelernt. Die ist mit ihren Eltern gekommen, von auswärts. Hier haben wir geheiratet. Zwei Kinder hab ich. Seit zehn ... eh ... ja, das kommt hin ... seit zehn Jahren ist die Frau nun tot. Zucker. Der Sohn ist Traktorist im Gut. Noch. Weil er schwerer Diabetiker ist, wird er nicht gekündigt.

Ist ja alles durcheinander. Früher, beim Baron, da hatten wir 1.000 Hektar, mit Wald. Und jetzt, nachher die LPG, die hatten 7.000 Hektar. Wem das jetzt is? Das VEG hatte ja nur die Viehwirtschaft, die Sauenanlage na ... und

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das Gelände, auf dem die Gebäude stehn, der Park ... das war alles VEG!

Ich war viele Jahre Traktorist und Mähdrescherfahrer in der LPG. Viel Arbeit, immer waren die Biester kaputt und mit den Ersatzteilen war das nicht so leicht ... nich wie heute, wo man alles wegschmeißt, nee, wir wußten uns zu helfen! Aber die Arbeit habe ich dann aufgegeben. Das konnte ich ja nicht mehr weitermachen. Wenn ich abends dreckig nach Hause kam, war kein Bad fertig, kein Essen auf dem Tisch – weil ja die Frau tot ist – das hält man nicht lange durch. Da bin ich dann übergewechselt zum VEG und hab in der Gärtnerei gearbeitet. Ein bißchen besser wars ja dann, aber viel nicht.

Die Nachbarschaften und alles, das is ganz zusammengefallen jetzt. Ein paar seh ich gar nicht mehr hier rumgehen. Aber nicht alle im Ort sind arbeitslos. Ein paar sind in ABM gegangen, ein paar in Vorruhestand, ein paar haben noch Arbeit hier. Das ist ja jetzt GmbH, oder sowas. Sie haben Rinder und Schweine. Das Futter machen sie selbst. Ich hab gehört, sie haben noch sowas an 800-1.000 Hektar ... na, ob das was wird ... Die Leitung sind fast so viele wie Arbeiter da sind. Da fliegen die Fetzen, glaube ich.

Ich war auch eine rote Socke, ja, das muß ich zugeben, ich bin mal aus Überzeugung eingetreten, als junger Mann, und dann ... aus Überzeugung ausgetreten ... als alter Mann, weil ... ich konnte das einfach nicht mehr fressen, was sie mit uns gemacht haben, die ganzen Versprechen und dann nichts! Keiner mehr da, da oben. Aber der kleine Mann kann sich ganz gut erinnern ... was sind sie hier herumgegangen: „Genossen, wir müssen die Arbeitsproduktivität weiter erhöhen, alle Reserven ausschöpfen ... für die Stärkung des Sozialismus, für das Wohl des Volkes, für den Frieden ...“

Also an mir mußte das nich scheitern! Volle Arbeit hab ich mein Leben lang erbracht. Fast sechzig Jahre lang den Buckel krumm gemacht. 1.300 Rente habe ich heute. Ich hab ja als halbes Kind schon angefangen, da mußte jeder ran hier, Sommer wie Winter. Um fünf in der Früh war man schon im Stall und dann, im Sommer, 12 bis 14 Stunden Arbeit, im Winter 10 bis 12 Stunden und der Lohn ... da lachen Sie heute, wenn ich Ihnen den sage, 70 Pfg. den Tag anfangs, dann später wars mehr. Im Herbst konnten wir manchmal die Schulden beim Kaufmann nicht zahlen. Ein paar Schuhe, mehr war nicht, eine Hose, Jacke, ein geflicktes Hemd, fertig! Dann nur noch Arbeitsstiefel, Arbeitskittel, nur Hunger haben wir eigentlich kaum gehabt, da gabs immer irgendwo was Eßbares zu holen ... so war das damals, aber man war zufriedener als heute. Ich hab alles gelernt, die ganze Landwirtschaft. Dann wurde ich Kutscher. Ich hab da Arbeitspferde gehabt, Kaltblüter, große Tiere, schöne Tiere, die waren da fürs Feld ... für den Wald. Vierspännig bin ich gefahren, in der Linken die Zügel, rechts die Peitsche ... solche Arme hatte ich damals und nun sehn Sie sich das mal an!“

Er schiebt seinen Hemdsärmel hoch und entblößt einen muskulösen Unterarm.

„Alles schlapp. Die Arbeit war hart ... ja ... jeder Kutscher mußte für seine vier Pferde sorgen, da war man verantwortlich, daß denen nichts passierte ... füttern, striegeln, tränken, an- und abschirren, Hufe auskratzen, alles. Das könnte ich heut noch mit verbundenen Augen, meine Pferde einspannen. Morgens um vier war ich oft schon im Stall und wissen Sie warum? Ich war stolz darauf, Pferdekutscher zu sein.

Aber, ehrlich gesagt, heimlich hab ich immer auf den Traktor geschaut, aber es gab ja nur einen damals.

1946 habe ich auf einer Hanomag-Raupe angefangen, aber das Traktorfahren war schöner. Ich bin nämlich mehr für Technik veranlagt ... aber der Baron hat vor dem Krieg immer zu mir gesagt: ,Bleib Du nur bei Deinen Pferden, Du wirst noch mein bester Kutscher werden, wenn Du so weitermachst.‘ Der Baron, der war mir eigentlich lieber als die LPG- Vorsitzenden, das sage ich heute aus ehrlichem Herzen. Einmal, als ich krank war, als Kind, da hat mich der Herr Baron sogar mit seinem eigenen Wagen ins Krankenhaus gefahren. Die waren gut zu ihren Leuten, der Baron und die Baronin, das muß man ihnen lassen, keine Menschenschinder und Antreiber, wie so mancher von den Genossen Vorsitzenden. Gearbeitet haben wir alle trotzdem viel und alles hatte seine Ordnung hier, bis zum Kriegsende.

Der Baron und die Baronin haben sich ja mit Kriegsende umgebracht, wegen der Roten Armee .. sie hatten wohl zuviel Angst gehabt, vielleicht. Ich persönlich jedenfalls, hätte lieber weiter diesen Herrn gehabt als die unseren hier. Es soll noch Verwandte geben in Schweden, aber da hat keiner Ansprüche gestellt ... So ist das .. .und nun sitze ich heute hier, als alter Mann, mit nur einem Lungenflügel, und seh mir mit an, wie alles zugrunde geht.“

Von der Treuhand-Pressesprecherin, Frau Herzfeld, erfahre ich, daß im Fall Großenluckow noch nichts entschieden ist. Die gutachterlichen Prüfungen der Betreiberkonzepte sind noch nicht abgeschlossen. (Entsprechend der neuen Richtlinie aus Bonn sollen Güter erst mal nicht mehr verkauft, sondern langfristig bis zu zwölf Jahren verpachtet werden.) Das Asylbewerberheim soll weiterhin bestehen bleiben, der Kreis will das Objekt kaufen.

Unter den Bewerbern, so erfahre ich, befinde sich auch eine Erbin der Maltzans. Aber sie sei „offenbar keine direkte von Maltzan, sie heißt auch anders“.