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Auf dem Weg nach „Rest-Bosnien“

Während ein Großteil der bosnischen Elite an einem multiethnischen Bosnien festhalten will, sprechen sich kroatisch-bosnische Politiker für die Annahme des Friedensplans aus  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Sein Gesicht ist zerfurcht und grau geworden. Nur langsam bewegt er sich. Alija Izetbegović, der Präsident Bosnien-Herzegowinas, erscheint von seiner politischen Last fast erdrückt. Seit in den letzten Wochen deutlich wurde, daß sich nicht nur die Kriegsgegner, sondern auch die internationalen Institutionen gegen ihn und sein Bosnien verschworen haben, wirkt er, dessen wache, freundliche Augen viele Menschen für sich einnehmen können, müde und ein bißchen einsam.

„Die Welt hat uns verlassen, doch wir werden unseren Weg finden“, hatte er vor seiner Rede trotzig schon im Vestibül des Holiday Inn in Sarajevo gesagt, wo am Wochenende das bosnische Parlament zusammengetreten war. Und vielleicht hat er damit auch gemeint, daß er selbst jenen trotzen will, die aus seiner Umgebung heraus gegen ihn Stimmung machen. Denn Alija Izetbegović ist in Sarajevo nicht mehr unumstritten.

Als er im völlig überfüllten Kongreßsaal des von Artilleriebeschuß halbzerstörten Hotels zum ersten Mal vor das Mikrofon trat, wurde es still im Saal. Die Parlamentarier und die „führenden Persönlichkeiten aus Kultur, aus den Kirchen, den Wissenschaften“ warteten sichtlich gespannt, welche Antworten er auf den Genfer Teilungsplan für Bosnien geben würde. Und sie zeigten damit auch, daß sie ihn trotz aller Kritik an seiner Verhandlungsführung als Präsidenten und Person weiterhin tragen werden. Izetbegović kommt immer noch die Schiedsrichterrolle im Meinungsbildungsprozeß der bosnischen Elite zu.

Vor ihm waren schon mehr als zwei Dutzend Parlamentarier und Persönlichkeiten aufgetreten. Und es zeigte sich, daß die Frage, ob der Teilungsplan aus Genf angenommen werden sollte, die bosnische Elite, die bisher einmütig zusammenstand, nun gespalten hat. Für den schärfsten Mißton sorgte Miro Lasić, ein kroatischer Vertreter im bosnischen Staatspräsidium, als er seine Rede mit den Worten begann: „Ich will Ihr Parlament begrüßen“ – so, als gehörte er nicht mehr dazu. Doch mit dieser Meinung stand Lasić allein: alle anderen Redner verstanden sich weiterhin als Vertreter eines ungeteilten Bosnien.

Auf der einen Seite stehen jene, die am Staate Bosnien und seiner multikulturellen Identität unter allen Umständen festhalten wollen. Es sind dies nicht nur der Außenminister der Republik, Haris Silajdzić, oder der Vizepräsident der Liberalen Partei, Muhammed Filipović, sondern vor allem jene Parteien und Gruppierungen, die sich nicht explizit auf eine der nationalen Gruppen stützen oder aber gegen die nationalistischen Kräfte ihrer Nation opponieren.

So geißelten die Redner der kroatischen Bauernpartei und Vertreter der Partei des ehemaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Marković – das Parlament ist entgegen anderslautender Meldungen kein „reines Moslemparlament“ – die „Genfer Erpressung“ gegenüber Bosnien. Auch manche Vertreter der Intellektuellen und der Kirchen – wie der Erzbischof von Sarajevo, Vinco Puljić, der höchste Geistliche der Muslime, Mustafa Ćerić, oder der Vorsitzende der Kommission zur Untersuchung der Kriegsverbrechen, Smajo Cehić – beschworen die multikulturelle Identität des Landes und erinnerten an die Leiden, die durch den Krieg über alle Bürger des Landes gekommen sind. Großen Beifall erhielt Neda Buljan Pezderać aus Bosanski Brod, als sie sich zuerst als Bosnierin und dann als Kroatin definierte und daran erinnerte, daß in Bosnien 27 Nationen zusammenlebten.

Viele Redner stimmten darin überein, daß mit der Teilung des Landes die Verbrechen legitimiert und alle Prinzipien der internationalen Gemeinschaft verraten würden. Legitimierte die Versammlung die Genfer Vorschläge, so der Liberale Filipović, würden außerdem alle Vertriebenen, die nun einen Flüchtlingsstatus im europäischen Ausland hätten, diesen Status wahrscheinlich verlieren und in eine der drei Teilrepubliken abgeschoben werden. Es sei unerträglich, so zahlreiche Redner, daß in dem Abkommen das Recht auf Rückkehr in den Heimatort und das Recht auf Rückerstattung des Eigentums nicht gewährleistet sei.

Kroatische Stimmen für den Friedensplan

Auf der anderen Seite riefen vorsichtig und doch bestimmt viele bosnische Kroaten zum Frieden auf, wie Mirko Prskalo von der Kroatischen Bauernpartei und auch der Erzbischof. Ein effektiver Waffenstillstand, das stand unwidersprochen im Raum, könne nur durch die grundsätzliche Akzeptierung der Teilung, wenn auch zu anderen Bedingungen erreicht werden. Die prinzipielle Weigerung, das Land aufzuteilen, bedeute die Fortsetzung des Krieges, ließ auch Edhem Bicakcić, Sprecher der Muslimanischen Partei (SDA), anklingen, und der sei angesichts des anrückenden Winters kaum mehr durchzuhalten. Auch er wollte den Plan unter den vorgezeichneten Bedingungen nicht akzeptieren. Die Grundlage für die Teilung des Landes könne lediglich der Zensus von 1991 sein.

Parteifreund Adnah Mujagić wies zwar auf den Betrug hin, den Europa an dem „auf Europa ausgerichteten Bosnien und Herzegowina“ begehe. Andererseits könne auch in einer Ehe ein Partner dem anderen die Scheidung nicht verweigern. In den drei neuen Staaten hätten dann jeweils die Mehrheitsbevölkerungen das Sagen, so auch in dem Staate „Bosnacka“, dem Rest-Bosnien, wie er ihn nennen möchte.

Das waren Töne, die einen muslimischen bosnischen Staat begründen könnten. Zwar rieten der Kommandant der Bosnischen Armee (BiH), Razim Delić, und der Polizeiminister Bakir Alispahić dazu, den Plan von Genf nicht in dieser Form zu unterzeichnen. Und beide wiesen darauf hin, daß die Hoffnung auf Hilfe durch die Europäische Gemeinschaft eine Illusion gewesen war. Die Sicherheitszonen in Goražde und Srebrenica seien Lügengebilde, die internationale Gemeinschaft trete für ethnisch reine Staaten ein. Um zu überleben, sei nach allen Erfahrungen die militärische und zivile Mobilisierung nötig. Die BiH-Armee habe trotz des Waffenembargos und der Blockade Bosniens bisher widerstanden, „Die Soldaten sind bereit weiterzukämpfen.“ Der Einfluß des Militärs im politischen Prozeß müsse stärker werden, nur dort, wo die BiH-Armee das Land kontrolliere, könne die Sicherheit der Bürger verbürgt werden. Beide Redner erklärten aber, daß sie sich der politischen Führung unterstellen würden.

War das eine Drohung des Militärs an die Adresse Izetbegovićs, nicht zu weit zurückzuweichen, auch was die Entmilitarisierung, das heißt die Entwaffnung der Armee in Sarajevo selbst betrifft?

Der bosnische Präsident faßte die Diskussion mit eigenen Worten zusammen. Er opponierte gegen die Aufteilung des Landes in der vorliegenden Form. Es gäbe keine andere Möglichkeit, als weiterzuverhandeln. Wenn es zur Aufteilung kommen sollte, dann müßten viele der Forderungen der Versammlung durchgesetzt sein. Damit hatte die politische Führung von Bosnien-Herzegowina den Genfer Aufteilungsplan in der vorliegenden Form abgelehnt.

Kroatien: Bomben auf Knin und Zagreb?

Die serbische Militärführung der selbsternannten Krajina-Republik in Kroatien hat mit der Bombardierung der kroatischen Hauptstadt Zagreb gedroht. Wie die serbische Nachrichtenagentur in der Krajina, ISKRA, am Sonntag meldete, kündigten die Serben Vergeltung für den Fall an, daß die kroatische Armee die Gebietshauptstadt der Krajina, Knin, angreife. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman hatte zuvor in einer offenen Botschaft an die UNO und die serbischen Behörden erklärt, die kroatischen Streitkräfe würden Knin bombardieren, wenn die serbischen Angriffe auf die strategisch wichtige und mehrfach zerstörte Brücke von Maslenica nicht aufhörten. Das serbische Oberkommando drohte ISKRA zufolge Zagreb mit dem „totalen Krieg“.

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