Ein Zug nach Nirgendwo?

VfB Stuttgart – Bayern München 2:2 / Nach kuriosem Spiel herrscht weiter Unklarheit über die Münchner Leistungsstärke  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Ohne auch nur andeutungsweise mit der Wimper zu zucken, sprach Christoph Daum: „Bester Mann auf dem Platz war für mich Thomas Berthold.“ Ehrlich, das hat er gesagt. Woraus flugs zweierlei geschlossen werden darf: Nicht alles, was Trainer Subjektives von sich zu geben pflegen, ist objektiv haltbar. Und: Die übrigen 21 VfB- und Bayern-Kicker können nicht gerade bei besonders berauschenden Darbietungen ertappt worden sein. Zur Erhärtung der letzten Vermutung und der Widerlegung des allenthalben gehörten Märchens vom „Klassespiel“ rufen wir als Zeugen Erich Ribbeck auf. Es analysierte nämlich der Bayern- Trainer: „Ich glaube, die Zuschauer waren begeisterter als die Trainer.“

Warum die Zuschauer begeistert waren? Zeuge Sternkopf, bitteschön, Alter 23, Beruf: neuerdings linkes Glied der hinteren von zwei Bayern-Ketten: „Für die Zuschauer ist es schöner, wenn sie ein paar Chancen sehen.“ Und zwei Tore hier, zwei auch dort und zusätzliche Gaudi haben, wenn am Ende als Zugabe auch noch einer von den Bayern vom Platz fliegt, der forsche Michael nämlich. Obwohl die „grün-schwarze Sau“ (Bayern-Block) Fux da völlig falsch lag, weil erstens die gelbe Karte „total unnötig vom Schiri war“ (Sternkopf) und außerdem „beim zweiten Mal ich auch den Ball treffe“ (selbiger).

Warum bei all dem Hin und noch viel mehr Her die Trainer nicht in den Jubel einstimmen wollten? Nun, Christoph Daum hat genug damit zu tun nachzuschauen, ob niemand hinter ihm steht. Und Erich Ribbeck ist bei aller unverbindlichen Produktpflege immer noch ehrlich genug, um zumindest nicht alles zu verschweigen, was eh jeder gesehen haben muß, der hingekuckt hat. „Haarsträubende Fehler“ nämlich nicht nur bei beiden VfB-Treffern, sondern in unschöner Regelmäßigkeit. „Die Viererkette!“ raunte man sich wissend bereits bei Gegentreffer eins zu, der exemplarisch das Manko dieser gut gemeinten Abwehrformation zu Tage förderte: Spielt man den Ball nämlich in ihren Rücken, steht (außer Aumann) niemand mehr dahinter! Aber wenn's das denn schon wäre! „Wir haben“, schätzte Ribbeck zunächst, „so mit 9 1/2 Spielern gespielt.“ Nach Ansicht der Superzeitlupe ging er sogar auf 8 1/2 runter.

Wo die fehlenden zweieinhalb abgeblieben waren? Untergetaucht wie Scholl und Ziege, von einer Muskelverhärtung gepeinigt wie Matthäus, trotz jeweils eines Treffers meist am Spiel vorbeigezuckelt wie die laut Stellenbeschreibung für das Stürmen eigentlich zuständigen Witeczek und Valencia. „Ich will nicht klagen“, wollte Erich Ribbeck nicht klagen, „wir haben einen Punkt geholt und den Anschluß gehalten.“ Und am Mittwoch darf man gegen Leipzig wieder Toreschießen üben, wie neulich gegen Dresden. Aber schon gegen Freiburg hat man sich alle Mühe geben müssen, und selbige hat in Leverkusen erst gar nichts genützt. Die haben nämlich Schuster und ebenso zwei starke Stürmer wie die sich ebenfalls bereits in Schuß befindlichen Frankfurter und Bremer.

Die Jungs von der Säbenerstraße aber müssen dringend schauen, „daß wir unsere Form verbessern“ (Ribbeck). Das will man beim VfB Stuttgart selbstredend auch. Noch viel dringender muß man aber seine etwas aus der trägen Beschaulichkeit gebrachte Anhängerschaft innerhalb der Stuttgarter Presse tranquilisizieren. Selbst die gute alte Stuttgarter Zeitung, der offensichtlich ihr Ruhm als „Offizielle Leichtathletik-WM-Zeitung“ neuerdings etwas zu Kopfe gestiegen ist, fordert in vorletzter Verzweiflung einen Kopf. Welcher nun genau zu rollen habe, vermochten die besorgten VfB-Freunde zwar nicht zu sagen, doch fand man, besser einer als keiner. Alles, alles, nur nicht sich die grausame Wahrheit eingestehen müssen: daß der VfB 93 zwar etwas besser sein mag als Dresden, Wattenscheid und Schalke, aber sehr viel mehr eben nicht.

Aber bitte: Das Ganze ist eben immer eine Sache des Maßstabs, den man anlegt. Deshalb, nur deshalb wollte wohl auch der vielgelobte Manndecker Berthold zwar zu Ribbeck („Guten Tag gesagt“), Vogts („War der da?“) und ähnlich Nebensächlichem gerne Stellung nehmen, nicht aber über die Klasse seines Gegenspielers Auskünfte erteilen. „Valencia?“ Gab sich Berthold vage: „Da müssen Sie ihn selber fragen.“

Doch solange nicht einwandfrei geklärt ist, ob „El Tren“ tatsächlich Fußball spielen kann oder hauptberuflich im Nirgendwo herumzulungern pflegt, muß man auch mit einer Bewertung der Fähigkeiten des neuen Berthold vorsichtig sein. In Lederhosen-Country zweifeln zwar bisher wenige an den Bayern, doch der eine oder die andere dafür heftig an Adolfo. Aber, sagt einer, der es wissen muß: „In München sind immer sehr viele Spieler umstritten. Das ist ja nichts Neues.“ Keine Frage: Dies zu beurteilen, ist Thomas Berthold weit und breit der beste Mann.

Bayern München: Aumann - Schupp, Kreuzer, Thon, Sternkopf - Scholl (69. Cerny), Matthäus (54. Nerlinger), Wouters, Ziege - Valencia, Witeczek

Zuschauer: 53.000; Tore: 0:1 Valencia (11.), 1:1 Frontzeck (13.), 1:2 Witeczek (15.), 2:2 Walter (46.)

Gelb-Rote Karte: Sternkopf wegen wiederholten Foulspiels

VfB Stuttgart: Immel - Dubajic - Kracht, Berthold - Buck, Sverrisson, Buchwald, Kögl, Frontzeck - Knup, Walter (82. Brdaric)