■ Serie Denk-Mal, das Gedächtnis des Ortes: Teil 16
: Elisabeth Abegg: Sand im Getriebe

Sie hat einmal gesagt, daß sie Nazis ziemlich widerlich fände. Und daß man ihnen Sand ins Getriebe streuen müsse. Das hat sie dann auch getan. Elisabeth Abegg, geboren 1882 in Straßburg, gestorben 1974 in Berlin.

Bereits 1933 fiel sie unangenehm auf. Da arbeitete sie als Studienrätin an einem sozialdemokratisch geprägten Lyzeum in Berlin-Mitte. Schmal und winzig stand sie vor ihrer Klasse, mit hochgeschlossenem Kragen und so gerade, als wäre sie auf dem Exerzierplatz. Protestantisch erzogen, zu den Quäkern konvertiert. Elisabeth Abegg verweigerte den Eid auf Hitler, wurde 1935 strafversetzt, 1941 zwangspensioniert.

Kurze Zeit später mußte sie zusehen, wie ihre Freundin Anita Hirschfeld deportiert wurde. Abegg hatte die Jüdin angefleht, sich bei ihr zu verstecken, in der Drei-Zimmer-Wohnung in der Berliner Straße 24a (heute Tempelhofer Damm 56), wo sie mit ihrer Mutter und der behinderten Schwester Julie lebte. Anita Hirschfeld wollte nicht. Die Freundinnen sahen sich nie wieder.

Aber von da an kamen andere rassistisch Verfolgte. Zuerst eine junge Frau, dann eine jüdische Kindergärtnerin, dann deren Pflegetochter. Alle lebten von der Lehrerinnen-Pension und von den Lebensmittelkarten, die Elisabeth besorgte. Elisabeth kochte enthusiastisch Haferbrei für alle, der so gräßlich schmeckte, daß sich die Überlebenden noch heute mit Schaudern erinnern.

Die Nachbarn im Haus wurden mißtrauisch. Doch Elisabeth Abegg erzählte ihnen Geschichten von ausgebombten Verwandten. Und wenn sie sich in ihrer Winzigkeit vor den nazitreuen Kleinbürgern aufbaute und sie anherrschte – sie stammte aus einer preußischen Offiziersfamilie –, verloren die bei so viel Autorität alle Chuzpe.

In Berlin waren die großen Razzien im Gang. Immer mehr Juden brauchten Hilfe, es war unmöglich, sie alle in Tempelhof aufzunehmen. Elisabeth Abegg organisierte ein Netzwerk von UnterstützerInnen, die sich reihum der Flüchtlinge annahmen. Doch für viele war sie die erste Adresse. In der Berliner Straße erhielten die Verfolgten erst mal ein Bett, Haferbrei, neue, von Julie genähte Kleider und falsche Papiere. Elisabeth Abegg hatte mal einer Polizeidienststelle einen Besuch abgestattet, den Beamten mit preußisch-damenhafter Strenge eingeschüchtert und ihm bei der Gelegenheit weniger damenhaft ein Dienstsiegel geklaut. Damit saß sie in ihrer Wohnung und stempelte eifrig neue Identitäten; falsche Taufscheine hatte ihr ein Pfarrer aus der Bekennenden Kirche geliefert.

Ausgeruht, in neuen Kleidern und mit einer falschen Biographie versehen, versteckten sich die Verfolgten in anderen Wohnungen oder versuchten unauffällig irgendwo in Berlin weiterzuleben. Es gelang fast allen. Elisabeth Abegg und ihre Freunde retteten wahrscheinlich 80 Menschen vor dem Tod.

Zwölf Jahre nach dem Krieg erinnerte sich der Staat an Elisabeth Abegg. 1957 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen. Die Würdigung freute sie wohl, nur das Kreuz fand sie ziemlich albern. Sie trug es fortan an ihrem Bademantel, der paßte mit seinen Streifen zum schwarz-rot-goldenen Bändel.

Bis 1973 wohnte sie am Tempelhofer Damm 56. Dort wurde ihr 1991 eine Gedenktafel gesetzt. Hübsch blaue Schrift auf weißer KPM-Keramik, vielleicht hätte ihr das gefallen. Zur 750-Jahr- Feier Berlins hatte die Sparkasse der Stadt ein Gedenktafelprogramm geschenkt: Für 300.000 Mark durften rund 300mal Gedächtnisstützen in KPM-Einheitsdesign aufgehängt werden. Auf so lächerliche Art kommen manche, die es verdient haben, zu bleibenden Ehren. Bascha Mika

Am Donnerstag: Ludwig II. – das Holzkreuz im Starnberger See