Vom „heutigen Horror“ zum „absoluten Chaos“?

■ Konferenz des Roten Kreuzes über besseren Schutz für Kriegsopfer in Genf

Genf (taz) – Der Kontrast könnte schärfer kaum sein. Im mit Nato-Draht gesicherten Genfer UNO-Palast bemühten sich gestern die für Völkermord, „ethnische Säuberung“ und Massenvergewaltigungen poltisch Verantwortlichen Herren Milosević, Karadžić, Tudjman und Boban um die endgültige Sanktionierung ihrer Kriegsverbrechen durch die Unterschrift der Opfer unter ein Bosnien-Abkommen. Und im nur 500 Meter entfernten, ebenfalls scharf bewachten Genfer Konferenzzentrum diskutieren die Außenminister von 159 Staaten über den „verbesserten Schutz für Kriegsopfer“. Abstrakt und ohne jedwede Nennung konkreter Konflikte.

Das ist die vereinbarte Geschäftsbedingung dieser dreitägigen internationalen Konferenz, die heute nachmittag mit der Verabschiedung eines Maßnahmenkatalogs zur Verbesserung des Schutzes von Zivilopfern in Kriegen zu Ende gehen soll. Eingeladen hatte – auf Initiative des „Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“ (IKRK) die Schweizer Regierung. Die Schweiz ist Depositarstaat der vier Genfer Konventionen aus dem Jahre 1949 und ihrer beiden Zusatzprotokolle von 1977, in denen die Grundzüge des humanitären Kriegs-Völkerrechts festgeschrieben sind.

An den ersten beiden Konferenztagen beklagten die Redner in bewegten Worten, daß dieses Recht weltweit immer mehr verletzt und mit Füßen getreten wird und forderten alle Staaten auf, den von ihnen unterschriebenen Konventionen wieder stärker zur Durchsetzung zu verhelfen. Der Schweizer Außenminister Flavio Cotti, zugleich Präsident der Konferenz, rief dazu auf, die „Barbarei auf den Schlachtfeldern zu beenden“. Die Großzahl der Konflikte sei von „Unmenschlichtkeit“ und einem „völligen Fehlen von Mitgefühl“ geprägt.

IKRK-Präsident Cornelio Sommaruga warnte, daß aus dem „heutigen Horror“ bald ein „absolutes Chaos“ werden könne. Ganze Völker würden „durch Kriege gezwungen zu fliehen, ausgehungert oder willkürlich bombardiert, Frauen werden vergewaltigt, Gefangene gefoltert, zur Arbeit an der Front gezwungen oder einfch erschossen“. Zudem könnten humanitäre Organisationen wie das IKRK ihre Aufgaben nicht erfüllen, wenn sie selbst zu Kriegsopfern würden. Erst am letzten Wochenende hatte das IKRK erneut den Tod von zwei Mitarbeiterinnen zu beklagen.

Während in Kriegen früherer Zeiten Zivilisten meist unbeabsichtigt von Kämpfen zwischen den Streitkräften zweier Staaten betroffen waren, wurden sie im Laufe dieses Jahrhunderts immer häufiger bewußt zum Ziel militärischer Angriffe. Diese Entwicklung verlangt ebenso nach einer Reform und Anpassung des Kriegsvölkerrechts, wie auch ein zweiter Trend, auf den UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali hinwies. Immer weniger bewaffnete Auseinandersetzungen finden heutzutage zwischen Staaten statt, deren Regierungen das Völkerrecht unterschrieben haben und die für seine Einhaltung haftbar gemacht werden können. Dagegen wächst die Zahl der Bürgerkriege, der militärischen Konflikte zwischen ethnischen und anderen Gruppen.

Von Beobachtern der Genfer Konferenz wird allerdings stark bezweifelt, ob von hier Anstöße zur Reform des Kriegsvölkerrechts ausgehen werden. Zumal die vielbeschworene Staatengemeinschaft noch nicht zur Ahndung schwerster Verstöße gegen das geltende Recht bereit zu sein scheint. So sprachen sich vor der Konferenz zwar sowohl Rußlands Außenminister Andrei Kosyrew wie US-Botschafter Warren Zimmermann für die Etablierung des Kriegsverbrechertribunals zu Ex- Jugoslawien aus. Auf konkrete Nachfragen, ob die Herren Milosević und Karadžić denn jemals vor diesem Tribunal zu erscheinen haben, ist sowohl im Genfer Kongreßzentrum wie im UNO-Palast nur noch ein müdes Lächeln zu ernten. Andreas Zumach