Rudi Ratlos und der Blauhelm

SPD-Streit über UNO-Einsätze der Bundeswehr schwelt weiter / SPD-Präsidium muß am Montag entscheiden, ob noch Verhandlungen mit der Regierung möglich werden  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Glaubt eigentlich noch jemand, daß SPD-Chef Rudolf Scharping in der Bundeswehrdebatte einen klaren Kurs verfolgt? Einer glaubt es: Karsten Voigt, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. „Ja“, versicherte Voigt gestern, Scharping halte klaren Kurs. Gebe es denn viele, die diese Ansicht teilen? Voigt antwortete unzweideutig: „Nein.“

Die Verwirrung hat Scharping selbst erzeugt. So bekräftigt er scheinbar eindeutig immer wieder, die SPD werde in jedem Einzelfall eine Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen außerhalb des Nato- Auftrages ablehnen. Gleichzeitig wendet sich der SPD-Chef stets dagegen, diese Beschränkung auf die sogenannten „friedenserhaltenden“ UNO-Einsätze (vulgo: Blauhelme) auch in der Verfassung festzuschreiben. Im Umkehrschluß würde das bedeuten: Die Möglichkeit deutscher Kampfeinsätze wird ins Grundgesetz aufgenommen.

Mit dieser Doppelstrategie, so hoffte Scharping, sei es möglich, mit der Regierung einen Verfassungskompromiß auszuhandeln. Tatsächlich irritierte er vor allem die eigenen Parteifreunde, die nicht mehr wußten, was ihr Rudolf eigentlich wollte. War er nun für oder gegen Kampfeinsätze?

Am vorletzten Montag hatte das SPD-Präsidium scheinbar eindeutig Position bezogen: Die Partei bleibe bei ihrem prinzipiellen „Nein“ zu Kampfeinsätzen. Fraktionschef Hans-Ulrich Klose sei mit seinen weitergehenden Forderungen in der Parteispitze „isoliert“.

Am Wochenende schließlich tagte die außenpolitische Projektgruppe der SPD und fixierte diese Haltung in einem Antragsentwurf für den Parteitag im November.

Vor allem die Vizevorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul konnte sich bestätigt fühlen. Die SPD bekräftigte die Linie, die sie stets verficht: Blauhelm-Einsätze einerseits und Kampfaufträge anderseits seien klar unterscheidbar. Deutschland sei sehr wohl handlungsfähig, wenn es sich auf Blauhelme beschränke, denn bislang sei ohnehin kein Fall bekannt, in dem die UNO in eigener Verantwortung Kriege geführt habe. Ein Einsatz nach dem Modell des Golfkriegs, bei dem die UNO einzelne Staaten lediglich zum Kriegführen ermächtigt, lehnt aber selbst Klose ab.

Die Position der SPD sei nun „klar“, beteuerte Scharping gestern in einem Interview. Tatsächlich ist sie alles andere als das. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit hatte die Projektgruppe am Wochenende nämlich einen Satz in den Antragstext aufgenommen, der Scharpings Linie diametral widerspricht. Hatte der von Heidemarie Wieczorek-Zeul formulierte Entwurf die Frage einer verfassungsrechtlichen Formulierung offengelassen, brachten die SPD-Linken Gernot Erler und Katrin Fuchs nun den Satz unter: „Friedenserhaltende Blauhelm- Einsätze wollen wir durch eine Grundgesetzänderung ermöglichen.“ Diese Formulierung, so sagte Katrin Fuchs der taz, diene als „Sicherheitsschranke“ gegen Versuche, auch die Möglichkeit von Kampfeinsätzen ins Grundgesetz aufzunehmen. Würde der Antrag nicht diese alte SPD-Beschlußlage bekräftigen, sondern die Frage einer Verfassungsformulierung offenlassen, würde die Partei „irrsinnigen Verdacht schöpfen“, glaubt die Bundestagsabgeordnete.

Dem Parteichef jedoch konnte diese Korrektur nicht gefallen: Der Vorstoß von Katrin Fuchs und Gernot Erler fand in der Projektgruppe zwar die Unterstützung des SPD-Bundesgeschäftsführers Günter Verheugen, stieß aber auf den Widerstand von Scharpings rheinland-pfälzischem Bundesratsminister Florian Gerster.

Auch Mitglieder des SPD-Präsidiums schließen nicht aus, daß die Parteispitze am Montag den umstrittenen Satz wieder herausnimmt. „Scharping muß Wert darauf legen, daß diese Passage aus dem Antrag herauskommt“, bekannte Fraktionschef Hans-Ulrich Klose gestern offen.

Andernfalls wäre eine Frage bereits beantwortet, die das SPD- Präsidium erst noch entscheiden muß: ob man mit der Regierungskoalition Verhandlungen über eine Grundgesetzänderung führen sollte, bevor das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache über die Klagen entschieden hat, die die SPD gegen die Somalia- Mission und den Awacs-Einsatz eingereicht hat.

Scharping will solche Verhandlungen versuchen, um vor der in der SPD allgemein erwarteten Niederlage in Karlsruhe zu retten, was zu retten ist. Unterliege die SPD in Karlsruhe, sagen Klose- Mitarbeiter, „dann liegt für die Regierung der Ball auf dem Elfmeterpunkt“.

Heidemarie Wieczorek-Zeul hingegen plädiert weiterhin vehement dafür, das Urteil abzuwarten. „Sonst“, meint sie, „könnte man uns vorwerfen, wir hätten nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft“, die Pläne der Bundesregierung „zu blockieren“. Verhandlungen oder nicht?

Vielleicht schon am Montag, heißt es, könne das SPD-Präsidium diese Frage entscheiden.