„Sozialarbeiter verhindern Anschläge“

■ Dürfen rechte Jugendliche Betreuung verlangen? — Gespräch mit einem Sozialarbeiter

Das Interview mit der rechten Findorffer Jugendclique „Torfsturm“ (taz vom 23.8.) hat auch kritische Leserstimmen ausgelöst. Wer die Forderung der Jugendlichen nach einem eigenen Raum unterstütze, sei naiv und damit mitschuldig an rechtem Morden und Brandschatzen, so ein Vorwurf. Der Verein für akzeptierende Jugendarbeit, der seit mittlerweile fünf Jahren mit rechten Bremer Cliquen arbeitet und nun auch Kontakt zu „Torfsturm“ aufgenommen hat, kennt solche Vorwürfe zur Genüge. Ein Gespräch mit dem Sozialarbeiter Wolfgang Welp.

taz: Diese Jugendlichen sagen selbst, daß sie so was wie die Rostocker Angriffe auch in Bremen gern erleben würden — würde man den Jungs mit einem Raum nicht geradezu eine operative Basis verschaffen?

Wolfgang Welp: Über diese Befürchtung haben wir natürlich selbst auch schon eine Million mal diskutiert: Aber dieser Effekt ist bei keinem unserer Projekte und auch bei keinem anderen Projekt in Deutschland eingetreten. Es tauchen natürlich schon immer wieder mal Flugblätter auf oder Fahnen und Symbole in den Räumen selber. Aber daß die Räume für parteipolitische Aktivitäten mißbraucht worden wären, ist überhaupt noch nicht vorgekommen. Selbst wenn es vorkäme, hat man immer noch die Möglichkeit als Sozialarbeiter, die Bude dichtzumachen. Wenn man ihnen aber gar nicht bei der Raumsuche helfen würde, hätte man überhaupt keine Möglichkeit, mit ihnen in eine Auseinandersetzung zu kommen.

Nun erzählen aber die „Torfsturm“-Jugendlichen, daß sie von den Statistiken über die geringe Ausländerkriminalität, die ihnen die LehrerInnen dauern unter die Nase halten, die Schnauze voll haben. Ihr wollt die Jugendlichen aber doch auch von ihrer rechten Gesinnung abbringen...

Wir gehen aber nicht dran mit dem Ziel, die Jugendlichen zuerst mal umzukrempeln. Außerdem basiert ihre Fremdenfeindlichkeit auf der unmittelbaren Erfahrung im Stadtteil mit türkischen Jugendlichen. Wenn man die jetzt über Rassismus und Sündenbock aufklärte, würden sie sich nicht ernstgenommen fühlen. Und damit wäre auch der Zugang zu ihnen versperrt.

Aber wie kann man die Jungs denn ernstnehmen? In Findorff liegt der Anteil der ausländischen Bevölkerung auf dem Bremer Durchschnitt von neun Prozent — wie können die behaupten, daß sie nicht ins Jugendhaus und in keine Disco mehr gehen können? Das ist doch viel eher die Erfahrung türkischer Jugendlicher.

Es hat schon auch was mit einer Projektion zu tun. Solche Auseinandersetzungen zwischen Banden, dieses Rivalisieren um Räume und daß sich in einem Jugendheim eine Szene einnistet, das hat es aber schon immer gegeben. Das Problematische jetzt ist, daß darin — nicht von den Jugendlichen, sondern von außen her — ein Konflikt mit rassistischem Hintergrund gesehen wird. Darin liegt auch der Skandal, daß soziale Konflikte zu ethnischen gemacht werden.

Von den rechten Jugendlichen wird in der Sozialarbeit ja gern als Opfern gesprochen — wenn ich mir aber die „Führer“ der Torfsturm-Gruppe angucke, die alle eine Lehrstelle haben und auch gut reden können, frage ich mich: Wieso müssen die rechts sein?

Eine Lehrstelle ist ja nicht alles. Die Identitätsmöglichkeiten sind für Jugendliche sehr dünn geworden; für die traditionellen Organisationsformen wie Jugendverbände oder auch Sportvereine interessieren sie sich immer weniger.

Die definieren sich heute eher über eine Gang oder ein Sportgerät, sind Biker oder Scater. Oft bleibt ihen kaum was anderes übrig,als sich extremistisch zu gebärden und zu schockieren.

Trotzdem, ein komisches Gefühl speziell bei „Torfsturm“ beschleicht einen ja schon: Erst sind sie rassistisch und dann verlangen sie auch noch in aller Öffentlichkeit einen Raum mit Betreuung.

Es ist aber nicht die einzige Gruppe, die das einfordert, mit diesem Wunsch werden wir ständig konfrontiert. Allein im Stadtteil Horn-Lehe gibt es neben der von uns betreuten Clique mittlerweile eine ziemlich große Nachwuchsgeneration. Die sind eben nur noch nicht auf die Idee gekommen, ihre Forderung öffentlich zu machen.

Sind diese Jugendlichen denn überhaupt gefährlich?

Daß diese Gruppen, die wir betreuen, dazu prädestiniert sind, Ausländerwohnungen und Flüchtlingsunterkünfte anzustecken, das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Ich will das nicht verharmlosen — aber in erster Linie spielen die und probieren aus, die rennen zum Beispiel mit Funkgeräten durch die Gegend und wollen Kader gründen, die lieben das Subversive. Sonst spielt sich halt was im üblichen Bereich der Jugenddelinquenz ab, also Diebstähle oder Hakenkreuzschmierereien.

Aber viele der rassistischen Anschläge sind doch gerade von solch unorganisierten Jugendlichen ausgegangen.

Ja, aber von solchen Jugendlichen, zu denen es gar keinen sozialarbeiterischen Kontakt gab. Das ist ja mittlerweile nachgewiesen, daß in den Orten, auch in den neuen Bundesländern, in denen es sozialarbeiterischen Zugang gab, die Anschlagstätigkeit und die rechtsextremistischen Auffälligkeiten deutlich geringer sind. Dort, wo die Anschläge gelaufen sind, da waren noch nie Sozialarbeiter dran.

Fragen: Christine Holch