Blonder Seeadler im Volkspark

Hamburger SV – Bayer Leverkusen 2:1 / Unter Beihilfe von Bernd Schuster wurde der HSV plötzlich zum Publikumsmagneten  ■ Aus Hamburg Claudia Thomsen

Erst am Mittwoch nachmittag, beim Rauskramen der alten Flagge, wurde vielen bewußt, wie lange sie den HSV schon nicht mehr vermißt hatten: „Mensch, da steht ja noch Kevin Keegan drauf.“ Welche Gründe trieben selbst die beinhärtesten Abstinenzler wieder in den Volkspark? Gut, die Jungs spielen zur Zeit sehr unterhaltsam. Valdas Ivanauskas materialisiert Hoffnungen im Minutentakt und Benno Möhlmann ist wirklich sympathisch. Aber mobilisierte das die zusätzlich 25.000 Mannen für den öden Volkspark-Trip?

Kaum. Ein bißchen Starkult war da auch im Spiel. „El Rubio“ ist mindestens für die Hälfte der Zusatzkasse gut. Der Mann, der von den Erinnerungen, die er wachruft, nicht durch übermäßiges Gequatsche ablenkt, bietet Schwärmern noch immer eine Projektionsfläche, so groß wie die Leinwand des Sommerkinos auf dem Hamburger Rathausmarkt. Bernd Schuster lockte die Massen. Seine Fähigkeit, an guten Tagen in die Lücken seiner Langsamkeit den Überblick eines Seeadlers zu schieben und Pässe von sturzflugartiger Exaktheit zu setzen, ließ in der Tat einiges erhoffen. Auch der Trainer der fanlosen Leverkusener Pillendreher, Dragoslav Stepanovic, heizte die Hoffnungen auf ein echtes Spitzenspiel an, indem er vorab von der Angriffsbereitschaft seines Teams kündete. Beim HSV waren alle Spieler gesund – da sollte es doch spannend werden.

45.950 Menschen ließen zum Auftakt zweimal die Welle in der Betonwanne rotieren, und dann war plötzlich alles ganz mittelmäßig. Die Leverkusener schienen den Ball nur zu bewegen, damit er kein Fett ansetzt, und den Gastgebern gelang es nicht, das kalorienarme Treiben zu stören. Nach der Pause agierten die Spieler um Thomas von Heesen, der in ihrer Mitte an diesem Tag leider verborgen blieb, angriffslustig und ohne Rücksicht auf die Konterstärke der Leverkusener. Der Mut zahlte sich in der 57. Minute aus. Karsten Bäron grätschte, eben nachdem der Leverkusener Heiko Scholz eingewechselt wurde, nach einem schönen Linkspaß von Neuzugang Jörg Albertz mit dem Ball ins Tor. Fünf Minuten später traf Yordan Letchkov, dessen Frisur durchtrieben zu nennen Intoleranz gegenüber konsequentem Nonkonformismus wäre, zum 2:0.

Da brach geschlossener Jubel los, und Heiko Scholz, der nun seine Schuldigkeit als unlucky loser getan hatte, durfte wieder auf der Bank Platz nehmen. Das ist Frust. Die Tonregie jedenfalls stimmte: Selten war eine Stille so tot wie die nach dem Anschlußtreffer von Andreas Thom, der nach einem langen Schusterschen Paß in der 77. Minute fiel. Das machte selbst eingefleischte HSV-Fans betroffen: „Irgendwie ganz schön traurig, wenn so gar keiner für einen jubelt.“

Das Spiel schwankte nun, wo die Zuschauer sich von der Spannung schon verabschiedet hatten, zwischen einem 3:1 und dem Ausgleich hin und her. Das kostete vor allem den sensiblen Valdas Ivanauskas viel Nerven und Geschrei. Sein Coach erlöste ihn fünf Minuten vor Spielende vom Leistungsdruck. Benno Möhlmann weiß – wir erinnern uns an sein verzweifeltes Headbanging mit einer überdimensionalen Werbe-Getränkedose bei dem schwachen Auftritt seiner Equipe in Karlsruhe – daß ein Mann manchmal vor der Zügellosigkeit seiner Emotionen geschützt werden muß.

Am Ende retteten die Gastgeber den Sieg über die Zeit. Und was war mit Bernd Schuster? „Der hat das Spiel der Leverkusener gelenkt“, befand Benno Möhlmann trocken. Hat aber nicht gereicht. Vielleicht steckt hinter den alten Soli-Konzepten – alle gemeinsam und so – doch mehr als pure Romantik.

Bayer Leverkusen: Vollborn - Foda - Wörns, Happe - Fischer (54. Scholz/67. Hapal), Lupescu, Schuster, Kree, Sergio - Kirsten, Thom

Zuschauer: 45.950; Tore: 1:0 Bäron (57.), 2:0 Letchkov (62.), 2:1 Thom (78.)

Hamburger SV: Golz - Kostner - Babbel, Kober, Spörl, von Heesen, Hartmann, Letchkov, Albertz - Bäron (81. Sassen), Ivanauskas (85. Spies)