Anforderungsprofil für CDU-Anwärter schwer zu erfüllen

Während der Kanzler die Ost-Herkunft des künftigen Bundespräsidenten zur Bedingung gemacht hat, ist die Schar von Kandidaten für die Weizsäcker-Nachfolge längst unübersichtlich geworden. Zwar gilt Sachsens Justizminister Heitmann derzeit als aussichtsreichster Kandidat, doch dürfte der CDU-Rechtsaußen kaum die ungeteilte Zustimmung der Unions-Wahlmänner und -frauen aus dem Westen finden.

Was macht eigentlich Bernd Seite? Der sollte doch auch mal Bundespräsident werden, nachdem es ihm gelungen war in Schwerin die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Einheit besonders schön zu arrangieren. – Wenigstens Seite, der seine großen Auftritte bei der politischen Nachbereitung der Rostocker Ausländerjagden hatte, ist mittlerweile definitiv aus dem Rennen ums höchste Staatsamt. Rückzugsmaxime: Schaden vom deutschen Volke abwenden! Doch Seite (CDU) heißt jetzt Steffen Heitmann (CDU). Zwar ist der neue Hoffnungsträger der Union noch nicht offiziell nominiert. Doch die FAZ hat den sächsischen Justizminister bereits seit längerem als den bei weitem geeignetsten Kandidaten für die Villa Hammerschmidt ausgemacht. Kohl wartet noch. Inzwischen defiliert am Kanzler vorbei eine längst unübersichtlich gewordene Kandidatenschar – und keiner findet seinen Segen.

Das ist schmerzlich, vor allem für Johannes Rau. Denn der Kandidat der SPD hatte fast schon das Plazet des Kanzlers. In Zeiten der Krise, wenn es darum geht, soziale Einschnitte durchzusetzen und die Ost-West-Spaltung wenigstens rhetorisch abzufedern, hätte ein sozialdemokratischer Konsenspräsident selbst für eine konservative Regierung Sinn gemacht. Doch die CSU, die noch nie einen der Ihren im höchsten Staatsamt plazieren durfte, torpedierte die Kohlschen Überlegungen ebenso wie die Liberalen. Denn immer hatte die Besetzung des Amtes, das über den tagespolitischen Auseinandersetzungen angesiedelt sein soll, Aussagekraft für die tagespolitischen Konstellationen. Ein von der Union unterstützter SPD-Kandidat könnte so als Signal für eine Große Koalition und zugleich als Absage an das bestehende Bündnis aufgefaßt werden.

Damit sinken die Chancen für Rau. FDP und Union haben inzwischen deutlich gemacht, daß sie Rau nicht unterstützen werden. In der Bundesversammlung verfügt die SPD derzeit über 500, die CDU über 620 der 1.324 Stimmen. Selbst mit den 114 Stimmen der FDP wäre eine Mehrheit gegen die Union kaum zu organisieren. Doch aus der Umgebung Raus ist zu erfahren, daß der selbst dann antreten will, wenn ihm kaum mehr als die Rolle des Kampf- und damit Zählkandidaten bleibt.

Mit der Entschlossenheit der SPD, auch einen chancenlosen Kandidaten der eigenen Partei zur Wahl zu stellen, schwinden zugleich die Aussichten des einzigen parteiunabhängigen Bewerbers, Jens Reich. Lediglich in der Berliner SPD sorgte sein Entschluß für Irritationen. Die SenatorInnen Jutta Limbach und Mathias Krüger gründeten eine Initiative „Sozialdemokraten für Jens Reich“. Ansonsten erwehrten sich Union, FDP und SPD der Kandidatur des Ostberliner Bürgerrechtlers, der von einer Initiative von 30 Intellektuellen unterschiedlicher politischer Herkunft nominiert wurde, durch bloße Ignoranz. Totschweigen heißt die Bonner Strategie, an der sich mit dem Unwillen der Parteien, das überkommene Besetzungsprocedere fürs höchste Amt auch nur zu überdenken, zugleich der Triumph der alten Bundesrepublik ablesen läßt: keine Chancen für die gesellschaftliche Machtteilhabe. Und für den – zumindest symbolischen – Ost-West-Ausgleich finden alle inzwischen die jeweils parteikonforme Antwort: Hier Rau, als ausgewiesener Versöhner, da Heitmann, als konservativ-kalkulierbarer Ostler.

Ohne schon einen Kandidaten präsentieren zu wollen – oder zu können – hat Kohl die Ost-Herkunft des Bewerbers zur Bedingung gemacht. Doch das Anforderungsprofil – Ost, konservativ, ein unverzichtbares Minimum an Statur sowie keine diskreditierenden Berührungspunkte zum alten Regime – ist nicht eben leicht zu erfüllen. Deshalb gilt Heitmann derzeit als aussichtsreichster Bewerber. Ob es sich dabei nur um einen Versuchsballon handelt, soll spätestens auf dem bevorstehenden CDU-Parteitag in Berlin bekanntgegeben werden.

Widerstand gegen Heitmann regt sich mittlerweile in allen Parteien. „Den kenn ich nicht“, lautet das eher noch gemäßigte Verdikt von Otto Graf Lambsdorff. Hans- Jochen Vogel kritisiert den „polemischen, die persönliche Attacke nicht scheuenden“ Politiker. Der eher zurückhaltende Bundestagsabgeordnete Wolfgang Ullmann verortet Heitmann in der „extremen Rechten“ der Union, der angesichts der Mordanschläge auf Ausländer schon mal „von einem Recht auf Selbstverteidigung der deutschen Identität“ gesprochen habe. Eine umstrittene Äußerung zur „Überfremdung“ der Bundesrepublik hatte Heitmann damit gerechtfertigt, dieses aus der Psychologie bekannte Gefühl müsse als Faktum benannt und zur Kenntnis genommen werden.

Ein Nationalkonservativer vom Zuschnitt Heitmanns könnte für die Union durchaus zum Risikokandidaten werden. Einer, der sein Profil allein durch Herkunft und stramme Gesinnung gewinnt, wird kaum die ungeteilte Zustimmung bei den Unions-Wahlmännern und -frauen aus dem Westen finden.

Rau ohne Mehrheit, Heitmann ohne Mehrheit, Reich von den Parteien ins Abseits gestellt, der geschätzte Ex-Gewandhaus-Taktstockmeister Kurt Masur doch nicht nominiert – da könnte nur einer Abhilfe schaffen, dessen Nein zur Kandidatur in den letzten Wochen angeblich immer leiser wird: Hans-Dietrich Genscher. Der geht – Geburtsort Halle – fast schon als Ostler durch, und selbst Kohl könnte ihn nicht verhindern. Ein achtbarerer Rückruf in die Vergangenheit ist derzeit kaum zu machen. Matthias Geis